Kallusdistraktion
Synonyme: Kallotasis, Distraktionsosteogenese
Englisch: Distraction osteogenesis
Definition
Die Kallusdistraktion ist ein Verfahren zur künstlichen Verlängerung von Knochen. Sie wird u.a. bei Verkürzung oder Achsfehlstellung einer Extremität sowie bei langstreckigen Knochendefekten durchgeführt.
Verfahren
Die Kallusdistraktion beruht auf der primären Induktion einer artifiziellen Fraktur des zu verlängernden Knochens und der anschließenden kontinuierlichen Dehnung des entstehenden Kallus durch Distraktion.
Phasen
Die Kallusdistraktion wird in folgende Behandlungsphasen nach Ilizarov eingeteilt:
- Mittels kleiner Inzision wird der Knochen mit Hilfe eines Meißels durchtrennt. Danach erfolgt der Wundverschluss und die Stabilisierung mittels Fixateur externe.
- In der anschließenden einwöchigen Ruhe- oder Latenzphase erfolgt die Organisation der Bruchenden. Es wird das so genannte Regenerat (Kallusvorstufe) gebildet wird, welches die Osteotomieenden verbindet.
- In der Distraktionsphase wird dieses Regenerat mit Hilfe des Fixateurs langsam um 1 mm pro Tag distrahiert. Dabei wird der Kallus stetig in die Länge gezogen und der Knochen somit verlängert. Beim Auftreten von Weichteilproblemen muss die Distraktionsgeschwindigkeit gegebenenfalls temporär verlangsamt werden.
- Nach Erreichen der gewünschten Verlängerung folgt die Neutralisations- oder Konsolidierungsphase, in welcher die zunehmende Kallusbildung ergänzend durch intensive Physiotherapie und zunehmende Belastung provoziert wird.
- In der Dynamisationsphase wird der Fixateur nach ausreichender Bildung tragfähigen Kallus dynamisiert.
- Mit der Entfernung des Fixateurs beginnt schließlich die Remodellierungsphase des Knochens.
Hemikallusdistraktion
Die Hemikallusdistraktion wird eingesetzt zur Korrektur eines Achsenfehlers (z.B. Varus- oder Valgusfehlstellungen).
Longitudinale Kallusdistraktion
Bei der longitudinalen Kallusdistraktion erfolgt der Zug in Längsrichtung der Extremität und dient somit ausschließlich der Verlängerung. Durch dieses Verfahren können Knochendefekte behandelt werden.
Verkürzungs-Verlängerungs-Technik
Im Rahmen einer offenen Fraktur mit Weichteildefekt und freilegendem Knochen (bis zu 12 cm) erfolgt häufig ein Resektionsdébridement mit Verkürzung der Extremität bis sich die Weichteile ohne Spannung adaptieren lassen und der Knochen gedeckt ist. Die so entstandene Verkürzung kann nun sekundär mittels Kallusdistraktion auf die ursprüngliche Länge gebracht werden.
Segmenttransport
Bei Defektfrakturen erfolgt primär die Stabilisierung durch einen Fixateur externe. Sekundär kann der vorhandene Röhrenknochen oberhalb der Defektzone in einem intakten Weichteillager nach Ilizarov durchtrennt werden. Dadurch erfolgt eine Zugspannung und Hypervaskularisierung in der gesamten Region, welche die Knochenneubildung anregen. Der ursprüngliche Knochendefekt kann somit verkleinert werden.
Indikationen
Eine Kallusdistraktion wird indiziert bei
- Verkürzungen oder Fehlstellungen einer Extremität
- langstreckigen Knochendefekten
- der Versorgung einer komplexen offenen Fraktur nach einer vorausgegangen notwendigen primären Verkürzung der Extremität
Kontraindikationen
Ein Alter über 60 Jahre ist eine Kontraindikation für die Durchführung einer Kallusdistraktion, da die Regenerationsprozesse des Körpers und somit auch die Kallusbildung stark vermindert sind. Weiterhin kann das Verfahren nicht durchgeführt werden, wenn eine ausgeprägte Osteoporose zugrunde liegt. Aufgrund des langen stationären Aufenthaltes und einer nötigen engmaschigen ambulanten Kontrolle wird das Verfahren bei eingeschränkter Compliance ebenfalls nicht empfohlen.
Literatur
- H.P. Scharf: Orthopädie und Unfallchirurgie: Facharztwissen nach der neuen Weiterbildungsordnung. Elsevier Urban & Fischer. 2009.
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