Bulbärhirnsyndrom
Definition
Das Bulbärhirnsyndrom bezeichnet den Ausfall der gesamten Stammhirnfunktion inklusive pontobulbospinaler Bahnen, meist als Folgekomplikation des Mittelhirnsyndroms.
Hintergrund
Infolge einer Erhöhung des intrakraniellen Drucks (intracranial pressure, ICP) kommt es sekundär zu einer Kompression des Zwischenhirns und des Hirnstamms. Hierbei lassen sich verschiedene Syndrome abgrenzen, die sich bei zunehmendem Druck addieren und ineinander übergehen können. Liegt die Ursache des Druckanstiegs supratentoriell, entwickelt sich zunächst das Zwischenhirnsyndrom, gefolgt vom Mittelhirnsyndrom. Zuletzt folgen das pontine Syndrom und das hier beschriebene Bulbärhirnsyndrom.
Bei Raumforderungen mit Druckentwicklung unterhalb des Tentoriums (infratentoriell) beginnt die Abfolge der Syndrome beim pontinen Syndrom, da Zwischen- und Mittelhirn weiter kranial liegen und entsprechend nicht betroffen sind.
Ätiopathogenese
Das Bulbärhirnsyndrom entsteht als Folge einer Zunahme des intrakraniellen Drucks ober- oder unterhalb des Tentoriums. Bei einer supratentoriellen Druckzunahme (z.B. Hirnschwellung bei malignem Mediainfarkt) kommt es zur Einklemmung der Kleinhirntonsillen ins Foramen magnum (untere Einklemmung). Es resultiert eine Kompression des Hirnstamms. Eine infratentorielle Druckzunahme (z.B. bei Tumoren im Bereich des Kleinhirns) kann eine direkte Kompression des Hirnstamms zufolge haben.
Eine weitere mögliche Ursache eines Bulbärhirnsyndroms ist die direkte Schädigung der Hirnstammstrukturen, z.B. durch einen ausgedehnten Hirnstamminfarkt bei Verschluss der Arteria vertebralis und der Arteria basilaris.
Klinik
Das Bulbärhirnsyndroms äußert sich durch einen Ausfall der Hirnstammreflexe und folgende Symptome:
- tiefes Koma
- schlaffer Muskeltonus
- Areflexie
- Mydriasis, lichtstarre Pupillen
- Divergenzstellung der Bulbi
- Störung der Vitalfunktionen bis hin zum Kreislaufstillstand:
- verminderter Atemantrieb mit Biot-Atmung, Schnappatmung
- Bradykardie
- Hypotonie
Komplikationen
Das Bulbärhirnsyndrom ist akut lebensbedrohlich. Durch die kompressionsbedingte Ischämie der Medulla oblongata besteht die Gefahr der irreversiblen Schädigung der zentralen Regelzentren mit Apnoe und Kreislaufstillstand.
Nach wenigen Stunden kommt es zum irrevesiblen Funktionsverlust der Hirnfunktionen (Hirntod).
Diagnostik
Wichtiges diagnostisches Kriterium ist die Prüfung der Hirnstammreflexe (siehe auch neurologische Untersuchung). Bei vorangegangenem Mittelhirnsyndrom ist der Übergang des muskulären Hypertonus (Strecksynergismen) in eine muskuläre Hypotonie hinweisgebend.
Die Ursachenabklärung erfolgt MRT-diagnostisch.
Mittels invasivem Monitoring kann der intrakranielle Druck gemessen werden.
Therapie
Die Therapie variiert je nach zugrundeliegender Ursache und Prognose.
Zu den allgemeinen Maßnahmen bei erhöhtem Hirndruck gehören:
- Erreichen einer hochnormalen arteriellen Oxygenierung (PaO2 75 bis 95 mmHg)
- Normokapnie (PaCO2 35 bis 45 mmHg)
- Normoglykämie (110 bis 160 mg/dl)
- ausgeglichener Elektrolythaushalt
- Normothermie (36,5 bis 37 °C, fiebersenkende Maßnahmen ab 37,5 °C
- Gewährleistung eines freien venösen Abstroms durch optimierte Lagerung
Konservative Maßnahmen
Konservative Maßnahmen sind z.B.eine hyperosmolare Therapie bei ICP-Spitzen mittels hypertoner Kochsalzlösung oder Mannitol. Bei respiratorischer Insuffizienz oder einem GCS ≤ 8 wird eine Intubation und Analgosedierung durchgeführt. Bei onkologischer Ursache oder bakterieller Meningitis werden Glukokortikoide eingesetzt. Die Wirksamkeit einer iatrogenen Hypothermie ist unklar und gilt als Option bei pharmakologisch therapierefraktärer Druckerhöhung. Für eine Hyperventilationstherapie liegt kaum Evidenz vor, sie wird teils bei schwersten ICP-Krisen zur Überbrückung angewendet. Als Dauertherapie ist eine Hyperventilation nicht geeignet, da die Gefahr einer sekundären Ischämie durch zerebrale Vasokonstriktion besteht.
Operative Maßnahmen
Zu den operativen Therapiemöglichkeiten gehören eine externe Liquordrainage bei Hydrocephalus occlusus, die operative Entfernung raumfordernder Läsionen oder eine Trepanation zur Entlastung (z.B. bei malignem Mediainfarkt oder schwerem Schädel-Hirn-Trauma).
Literatur
- S1-AWMF-Leitlinie – Intrakranieller Druck (ICP), Versionsnr.: 5.1, gültig bis 13.02.2028, abgerufen am 22.01.2024
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