Analatresie
von altgriechisch: άτρητος ("atretos") - ohne Öffnung
Synonyme: Atresia ani, Atresia ani et recti, Anorektale Agenesie, anorektale Malformation (ARM)
Definition
Als Analatresie bezeichnet man angeborene Fehlbildungen des Enddarms, bei denen die Öffnung des Anus nicht vorhanden oder auch nicht korrekt angelegt (Agenesie) ist. Fehlt auch der untere Teil des Mastdarms (Rektum), liegt zusätzlich eine Rektalatresie vor.
ICD10-Codes
- Q42.2: Analatresie mit Fistel
- Q42.3: Analatresie ohne Fistel
Formen
Die meisten Analatresien weisen zusätzlich variable Fistelbildungen auf.
Bei Jungen tritt am häufigsten eine Analatresie mit rektourethraler Fistel auf, bei Mädchen ist die Analatresie am häufigsten mit einer rektovestibulären Fistel (zwischen Rektum und Scheidenvorhof) vergesellschaftet.
Bei Jungen treten zudem auf:
- rektoperineale Fistel
- rektoprostatische Fistel
- rektovesikale Fistel
- anokutane Fistel
- anoskrotale Fistel
- anopenile Fistel
Bei Mädchen sind weitere Formen der Fistelbildung:
- rektovaginale Fistel
- ektoperineale Fistel
- anokutane Fisteln
Klassifikation nach Wingspread
Nach Wingspread kann eine Klassifikation der Analatresien bzw. anorektalen Angenesien nach der Höhe der Fehlbildung erfolgen:
- Hohe Formen sind:
- beim Mädchen die anorektale Agenesie mit oder ohne vaginaler Fistel, das Rektum ist atretisch
- beim Jungen die anorektale Agenesie mit oder ohne prostatischer Fistel, das Rektum ist atretisch
- Intermediäre Formen sind:
- beim Mädchen anale Agenesie ohne Fisteln oder rektovestibuläre bzw. rektovaginale Fisteln
- beim Jungen anale Agenesien oder rektovesikale Fisteln
- Tiefe Formen sind:
- beim Mädchen: einfache Analatresie bzw. anokutane Fistel, anovestibuläre Fisteln oder Analstenosen
- beim Jungen: einfache Analatresien bzw. anokutane Fisteln oder Analstenosen
Zudem ist unter den hohen Formen als vollständige Fehlbildung/Nichtausbildung die sogenannte Kloakenfehlbildung zu nennen. Dabei erfolgt keine Trennung der gemeinsamen urogenitalen Anlage in Harntrakt, Genitaltrakt und Verdauungstrakt.
Epidemiologie
Zur Epidemiologie gibt es keine systematisch erhobenen Angaben. Die Zahlen zur Inzidenz der Erkrankung schwanken. Eine Analatresie findet sich bei ca. 1 Fall auf 4.000 bis 5.000 Geburten. 85 % der Analatresien weisen Fisteln auf. 10 % sind die komplexen Kloakenfehlbildungen.
Männliche Neugeborene sind häufiger betroffen als weibliche.
Pathogenese
Während einer normalen Entwicklung wird die ursprünglich angelegte Kloake durch das Septum urorectale in einen anterior urethralen und posterior rektalen Bereich getrennt. Im weiteren Wachstum bilden sich dann von den Genitalhöckern ausgehend die weiteren endgültigen Kanäle aus. Sowohl der urethrale, als auch der anale Ausgang sind zunächst durch dünne Membranen verschlossen, die jedoch vor der Geburt rupturieren.
Hemmungsvorgänge dieser normalen Entwicklung führen je nach Zeitpunkt der Hemmungsbildung zu hohen und tiefen Fehlbildungen im Sinne der Analatresie bzw. anorektalen Agenesie.
Symptomatik
Je nach Form findet sich bei der körperlichen Untersuchung des Neugeborenen entweder nur eine Öffnung (Kloakenfehlbildung) oder eine den Anus verschliessende Membran (Atresie). Durch die Membranen schimmert in der Regel Mekonium hindurch.
Subkutane Fisteln äußern sich durch Aufwerfungen der Haut. Bei Jungen und Mädchen müssen alle anderen möglichen Formen der Fistelbildung genau erfasst werden. Je nach Art der Fistel kann Mekonium aus der Vagina oder der Urethra abgehen.
Begleitfehlbildungen
In 10 % der Fälle findet sich gleichzeitig eine Ösophagusatresie.
Begleitend kommen neben den sehr häufigen variablen urogenitalen Fehlbildungen häufig auch Fehlbildungen der Wirbelsäule, des Gastrointestinaltrakts und des Herzens vor.
siehe auch: VACTERL
Diagnostik
Die Primärdiagnostik besteht in der ausführlichen körperlichen Untersuchung und Fistelaufsuchung.
Ist eine eindeutige Diagnose nach körperlicher Untersuchung nicht zu stellen, sollte frühestens 16 Stunden nach der Geburt eine Röntgen-Leeraufnahme des Abdomens durchgeführt werden. In Bauch- oder Überkopflage lässt sich das Aufsteigen der Luft im Darm provozieren, sodass Rückschlüsse auf die Höhe und Art der Fehlbildung möglich sind.
Weiterhin aufschlussreich sind eine Miktionszysturethrographie und die Sonographie des Rektumstumpfes.
Bei der Fahndung nach Begleitfehlbildungen können ein MRT der Wirbelsäule und je nach Symptomatik weitere Untersuchungen notwendig werden.
Therapie
Die Therapie einer Analatresie ist stets operativ. Als grobe Therapierichtlinie gilt:
- Bei hohen und intermediären Formen ist zunächst ein Anus praeter anzulegen und erst danach die Fehlbildung durch eine sogenannte posteriore sagittale Anorektoplastik zu korrigieren.
- Bei tiefen Fehlbildungen kann auch ohne Anus praeter direkt eine Perineoproktoplastik erfolgen.
- Bestehende Fisteln werden stets verschlossen, der Musculus sphincter ani externus rekonstruiert
Prognose
Operierte Patienten werden zu einem großen Teil für das weitere Leben kontinent. Bei tiefen Atresien mit rektourethraler und rektovaginaler Fistel ist die Prognose besser als bei den hohen Formen.
Auch bei weitgehender "sozialer" Kontinenz ist eine leichte Inkontinenz (Schmieren in der Unterwäsche) nicht immer ganz zu vermeiden. Dies verursacht bei den meisten jungen Patienten während und auch nach dem Wachstum einen großen psychologischen Leidensdruck.
Die mit der Analatresie verbundene Inkontinenz kann und sollte z.B. mittels regelmäßiger Irrigation (Darmspülung im Sitzen auf der Toilette) symptomatisch behandelt werden, um den betroffenen trotz mangelnder Kontinenz ein normale soziale Entwicklung zu ermöglichen und psychischen Sekundärschäden vorzubeugen. Dieser subjektiv sehr wichtige Krankheitsaspekt findet bei den behandelnden Chirurgen teils zu wenig Beachtung.