Parinaud-Syndrom
nach Henri Parinaud (1844-1905), französischer Augenarzt
Synonyme: dorsales Mittelhirnsyndrom, Prätektalsysndrom, Parinaud-Ophthalmoplegie, Koerber-Salus-Elschnig-Syndrom
Englisch: Parinaud's syndrome
Definition
Das Parinaud-Syndrom ist ein Hirnstammsyndrom, das durch die Trias aus vertikaler Blicklähmung, lichtstarrer Pupille mit Licht-Nah-Dissoziation und Konvergenz-Retraktions-Nystagmus (KRN) gekennzeichnet ist. Ursächlich ist eine Schädigung von Hirnnervenkernen im Bereich des Mittelhirns.
- ICD10-Code: H49.8
Abgrenzung
Abzugrenzen ist das okuloglanduläre Syndrom nach Parinaud, bei dem es im Rahmen der Katzenkratzkrankheit zu einer submandibulären bzw. präaurikulären Lymphknotenschwellung und einer granulomatösen Konjunktivitis kommt, und die Parinaud-Krankheit (Tularämie).
Epidemiologie
Das Parinaud-Syndrom ist ein sehr seltenes neurologisches Syndrom, zu dem nur wenige Fallbeschreibungen und -serien verfügbar sind.[1]
Ätiologie
Ursächlich für das Parinaud-Syndrom sind Läsionen des Mesenzephalons durch:[1][2][3][4][5][6]
- Tumoren (häufigste Ursache bei Kindern und jungen Erwachsenen), meist Pinealistumoren, seltener Tumoren des Mittelhirns selbst
- Hirnstamminfarkte oder -blutungen (häufigste Ursache bei älteren Erwachsenen)
- arteriovenöse Malformationen
- Aneurysmen der Arteria basilaris
- Multiple Sklerose
- Enzephalitis
- Toxoplasmose
- Neurozystizerkose
- Neurotuberkulose
- tonisch-klonische epileptische Anfälle
- ophthalmoplegische Migräne
In einigen Fällen sind die oben genannten Ursachen dabei mit einem Hydrocephalus occlusus oberhalb des Aquaeductus mesencephali assoziiert.[1]
Pathogenese
Die Symptomatik des Parinaud-Syndroms betrifft mesenzephale Funktionen. Einbezogen sind dabei vor allem die Area pretectalis und das Tegmentum auf Höhe der Colliculi superiores, teils auch die Commissura posterior.[1][2][3] Durch eine Läsion der hier gelegenen Anteile der rostralen mesenzephalen Formatio reticularis (Nucleus interstitialis Cajal und des Nucleus interstitialis rostralis fasciculi longitudinalis medialis) und/oder der Commissura posterior kommt es zu einer vertikalen Blickparese. Warum diese im Gegensatz zu anderen vertikalen Blickparesen vornehmlich die Elevation betrifft, ist unklar.[2]
Der Ausfall der Lichtreaktion wird durch eine Schädigung der in den Pupillenreflex eingebundenen Area pretectalis oder ihrer Afferenzen bzw. Efferenzen erklärt. Die physiologische Miosis im Rahmen der Konvergenzreaktion involviert ebenfalls die Prätektalregion und ihre Faserverbindungen. Diese Reaktion bleibt jedoch beim Parinaud-Syndrom erhalten, was als Licht-Nah-Dissoziation bezeichnet wird. Möglicherweise ist dies durch einen im Verhältnis zu den Lichtreaktionsfasern mehr medial lokalisierten Verlauf der hier einbezogenen Fasern bedingt.[2]
Die Pathogenese des Konvergenz-Retraktions-Nystagmus bedarf derzeit (2025) noch der Klärung. Möglicherweise liegt eine Läsion von supranukleären Fasern zugrunde, die diejenigen mesenzephalen Neurone inhibieren, die Konvergenz- oder Divergenzbewegungen steuern.[2]
Die Lidretraktion, die im Rahmen eines Parinaud-Syndroms auftreten kann, wird durch eine Schädigung von Fasern der hinteren Kommissur erklärt, die den Musculus levator palpebrae hemmen.[2]
Klinik
Leitbefunde des Parinaud-Syndroms sind:[2][3][7]
- Vertikale Blickparese, insbesondere für den Blick nach oben, gelegentlich auch in beide Richtungen. Die Patienten nehmen kompensatorisch eine Haltung mit angehobenem Kinn ein. Sehr selten ist isoliert der Abwärtsblick betroffen ("umgekehrtes Parinaud-Syndrom").
- Konvergenz-Retraktions-Nystagmus, eine nystagmusähnliche Augenbewegungsstörung, die nahezu ausschließlich im Rahmen des Parinaud-Syndroms auftritt. Hierbei wird der Versuch eines Aufwärtsblick durch ruckartige Konvergenz- und/oder Retraktionsbewegungen ersetzt. Es kommt zur Verlagerung des Bulbus in die Orbita hinein.
- Lichtstarre Pupillen, die sich bei Naheinstellung jedoch verengen (Licht-Nah-Dissoziation)
Weitere fakultativ auftretende Begleitsymptome sind:[2][3][8]
- Ausfall der Konvergenzreaktion
- Lidretraktion in Primärposition oder beim Abwärtsblick (Collier-Zeichen)
- Diplopie und Strabismus durch Skew Deviation oder assoziierte Hirnnervenparesen (III, IV, VI)
- Verschwommensehen, möglicherweise aufgrund eines Akkomodationsspasmus
- Downbeat-Nystagmus
Diagnostik
Die Diagnose wird klinisch durch die neurologische Untersuchung gestellt. Die sich hierbei zeigende vertikale Blickparese lässt sich typischerweise durch Auslösung des vestibulookulären Reflexes im Sinne eines Puppenkopfphänomens überwinden.[2] Ein Konvergenz-Retraktions-Nystagmus kann durch eine nach unten rotierende Optokinetik-Trommel provoziert werden.[2][7]
Die weitere Diagnostik richtet sich nach der vermuteten Ursache. In jedem Fall sollte eine MRT-Bildgebung des Hirnstammes und der Pinealisregion erfolgen.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung, z.B. durch eine Resektion auslösender Tumoren, eine Ventrikulostomie oder einen VP-Shunt.[1]
Leitlinie
- S1-Leitlinie Augenmotilitätsstörung inkl. Nystagmus der DGN im AWMF-Register, Stand 2021.
Weblinks
- Videodarstellung eines Parinaud-Syndroms: Frank et al., Teaching Video NeuroImage: Parinaud Syndrome Due to Ventriculoperitoneal Shunt Malfunction in a Patient With Neurosarcoidosis, Neurology, 2022.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Pollak et al., Parinaud syndrome: Any clinicoradiological correlation? Acta Neurologica Scandinavica, 2017.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9 Feroze, Patel, Parinaud Syndrome, StatPearls, 2023.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Shields et al., Parinaud syndrome: a 25-year (1991–2016) review of 40 consecutive adult cases, Acta Ophthalmologica, 2016.
- ↑ Tavares-Júnior et al., Parinaud syndrome due to cofirmed neurotuberculosis in a lupus eritematosis systemic patient, European Journal of Ophthalmology, 2022.
- ↑ Jumma, Hamdalla, Parinaud's Syndrome Due to Migraine, Cambridge University Press, 2014.
- ↑ Rad, Piscol, Parinaudsches Syndrom und internucleäre Ophthalmoplegie bei raumforderndem Basilarisaneurysma, Zeitschrift für Neurologie, 1971.
- ↑ 7,0 7,1 Eggers et al., Classification of vestibular signs and examination techniques: Nystagmus and nystagmus-like movements. Consensus document of the Committee for the International Classification of Vestibular Disorders of the Bárány Society. Journal of Vestibular Research, 2019.
- ↑ S1-Leitlinie Augenmotilitätsstörung inkl. Nystagmus der DGN im AWMF-Register, Stand 2021.