Kaufmann-Kur
Definition
Die Kaufmann-Kur ist eine historische Behandlungsmethode, die ab 1916 im Rahmen des Ersten Weltkrieges zur Therapie von Kriegsneurosen und Kriegszittern bei psychisch kranken Soldaten eingesetzt wurde. Sie beinhaltete vor allem die Behandlung mit Stromschlägen.
Hintergrund
Die Kaufmann-Kur wurde vom deutschen Psychiater und Stabsarzt Fritz Kaufmann (1875–1941) entwickelt. Sie verfolgte das Ziel, die stark gestörten Nervenfunktionen – manifestiert in Symptomen wie unkontrolliertem Zittern, Lähmungen, Angstzuständen und anderen neurologischen Störungen – zu "reparieren", um die betroffenen Soldaten wieder dienstfähig zu machen.
Historischer Kontext
In der Zeitspanne des Ersten Weltkriegs wurden psychische Traumata wenig verstanden und in der Regel nicht anerkannt – unter anderem um finanziellen Ansprüchen wie Krankenleistungen durch Soldaten vorzubeugen. Die gesellschaftliche und militärische Erwartung war, dass alle Soldaten robust sein sollten. Abweichungen von diesem Ideal wurden oft als Schwäche oder gar als Simulationsversuch gewertet. Die Betroffen wurden entsprechend derogativ als "Kriegszitterer" bezeichnet.
Die harte Methodik der Kaufmann-Kur wurde zum einen als sinnvoller Therapieansatz gesehen, zum anderen sollte sie Simulanten abschrecken.
Methodik
Die Kaufmann-Kur basierte auf Kombination verschiedener Methodiken, insbesondere:
- Elektrotherapie: Zentraler Bestandteil der Behandlung war die Anwendung starker elektrischer Impulse. Die Theorie dahinter war, dass eine gezielte elektrische Stimulation des Nervensystems dazu beitragen könnte, fehlerhaft arbeitende Nervenbahnen zu "resetten" und dadurch die Symptome zu lindern. Den Patienten wurden starke Stromschläge an erkrankten Körperregionen appliziert. Bei Ausbleiben der gewünschten Wirkung – beispielsweise wenn der Patient weiter zitterte – wurde die Stromstärke erhöht und weitere (sensiblere) Regionen geschockt.
- Militärischer Drill, Zwangsmaßnahmen und Disziplinierung: Neben der Elektrotherapie kamen strenge disziplinarische Maßnahmen zum Einsatz. Die Patienten wurden häufig zu intensiven, oft schmerzhaften Übungen und Verhaltensweisen wie militärischem Marsch gezwungen, um ihre Angstreaktionen zu unterdrücken und sie abzuhärten.
Folgen
Anstelle von Heilung führten die Maßnahmen der Kaufmann-Kur häufig zu zusätzlichen Schäden wie posttraumatischer Belastungsstörung, chronischer Traumatisierung, körperlichen Dauerschäden, gesellschaftlicher Isolation, Suizidalität und sozialer Stigmatisierung. Laut dem österreichisch-britischen Mediziner Stefan Jellinek (1871–1968) sollen während des Ersten Weltkrieges 20 Patienten durch die Kaufmann-Kur in deutschen Krankenhäusern verstorben sein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Methode zunehmend kritisiert, da sie ethisch fragwürdig war und kaum nachhaltige Heilung bewirkte. Mit der Weiterentwicklung der Psychiatrie und Psychotherapie geriet die Kaufmann-Kur allmählich in den Hintergrund und wurde spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg (1945) nicht mehr als medizinische Behandlungsmethode anerkannt.
Einordnung
Aus heutiger Sicht werden die Methoden als inhuman und ethisch bedenklich eingestuft, da sie vor allem auf Unterdrückung der Symptome statt auf eine nachhaltige psychotherapeutische Behandlung abzielten. Was damals als Therapieansatz galt, wird heute im Rahmen moderner psychotraumatologischer Konzepte als Beispiel für fehlgeleitete und schädliche Behandlungsansätze in der Geschichte der Psychiatrie betrachtet. Moderne Therapieformen bei posttraumatischen Belastungsstörungen setzen auf einfühlsame, auf den Patienten zugeschnittene Behandlungsstrategien.
Weblinks
- Wikipedia, Elektrotherapie, abgerufen am 19.02.2025
- Wikipedia, Stefan Jellinek, abgerufen am 19.02.2025
- Wikipedia, Kriegstrauma, abgerufen am 19.02.2025
- Wikipedia, Kriegszitterer, abgerufen am 19.02.2025
- Deutsche Nationalbibliothek, Kriegsneuotiker und Militärpsychiatrie, abgerufen am 19.02.2025
- Jachertz, Themen der Zeit - Psychiatrie: Heroische Therapien, ausgelieferte Patienten, Deutsches Ärzteblatt, 2012