Geriatrische Pharmazie
Definition
Die Geriatrische Pharmazie beschäftigt sich mit der Optimierung des Medikationsprozesses für alte bis hochalte Patientinnen und Patienten, die an mehreren behandlungsbedürftigen Krankheiten gleichzeitig leiden (Multimorbidität). Sie bedient sich dazu der Methoden der klinischen Pharmazie und des Qualitätsmanagements (QMS). Aufbauend auf geriatrisch-pharmazeutischen Kenntnissen macht sie sich die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) älterer Menschen zum Arbeitsschwerpunkt.
Aufgaben und Ziele
Der Alterungsprozess eines Menschen beinhaltet, dass seine Organfunktionen sukzessive nachlassen oder später auch ganz ausfallen. In der Berliner Altenstudie beschrieb Borchelt bereits 1995, dass ein Drittel der Menschen, die älter als 70 Jahre sind, an mindestens fünf chronischen Erkrankungen leiden.[1] Um die Zunahme der Erkrankungen zu verzögern und um ausgefallene Funktionen teilweise oder ganz zu ersetzen, werden häufig Medikamente eingesetzt. Das führt dazu, dass Senioren im Verlauf ihres Alterungsprozesses zunehmend mehr Medikamente gleichzeitig einnehmen (Polypharmazie).
In Deutschland gibt es zu wenige Untersuchungen darüber, wie viele Arzneimittel von alten Menschen täglich gleichzeitig eingenommen werden. So ist beispielsweise dem GEK-Report 2005 zu entnehmen, dass etwa 35 Prozent der Senioren in Deutschland, die älter als 70 Jahre sind, 5 bis 8 verschiedene Arzneimittel täglich erhalten, 15 Prozent nehmen sogar mehr als 13 (!) unterschiedliche Medikamente täglich ein.[2]
Für die Arzneimittelversorgung stellt das eine große Herausforderung dar. Das Risiko für Arzneimittelwechsel- und Nebenwirkungen steigt stark an, je mehr Medikamente täglich eingenommen werden müssen. Die Geriatrische Pharmazie versucht die unerwünschten Arzneimittelereignisse (UAE) für die Patientinnen und Patienten selbst zu minimieren und die Folgekosten für das Gesundheitssystem zu reduzieren.
Definition „Geriatrischer Patient“
Der Terminus „Geriatrischer Patient“ ist derzeit nicht eindeutig definiert. Konsens scheint es zu sein, dass nicht jeder Senior oder jede Seniorin auch zwangsläufig betreuungsbedürftig im Sinne der Geriatrischen Pharmazie ist. Um zuverlässig abschätzen zu können, für welche Patientinnen und Patienten eine intensivierte geriatrisch-pharmazeutische Betreuung angebracht ist, gilt es zunächst, die Risikofaktoren genauer zu betrachten, die für die Medikationssicherheit Älterer von Bedeutung sind. Dazu gehören beisielsweise die patientenbezogenen Daten "erhöhtes Alter", "geriatrisches Erscheinungsbild" und die "Anzahl der zu behandelnden Erkrankungen". Die Kenntnis dieser Faktoren ermöglicht eine erste Einschätzung, ob weitere Maßnahmen im Rahmen einer verstärkten geriatrisch-pharmazeutischen Betreuung eingeleitet werden müssen.[3]
Schwerpunkte
Schwerpunkte der Geriatrischen Pharmazie sind somit die Erstellung und Optimierung von Medikationsprofilen für multimorbide geriatrische Patientinnen und Patienten, die Dokumentation und Optimierung einrichtungsbezogener Probleme in der Arzneimittelversorgung in Alten- und Pflegeeinrichtungen, sowie die Erstellung evidenzbasierter pharmakologischer Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit geriatrischer multimorbider Patientinnen und Patienten.[4]
Geschichte
Die Wortkombination "Geriatrische Pharmazie" wurde in Analogie zu den in der Pharmazie gebräuchlichen Kombinationen z.B. "Klinische Pharmazie", "Pharmazeutische Chemie" oder "Onkologische Pharmazie" neu geschaffen.
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen erarbeitete von Mai 2001 bis Juli 2004 in der Enquetekommission "Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung in NRW" ein umfangreiches, anspruchsvolles Gesundheitsprogramm.[5] Im Rahmen dieser Beratungen wurde ein Handlungsbedarf für eine verstärkte pharmazeutische Betreuunung älterer multimorbider Patientinnen und Patienten insbesondere in Altenheimen konstatiert.
Die Vizepräsidentin der Apothekerkammer Nordrhein Elisabeth Thesing-Bleck griff dieses Thema auf und forderte in der Hauszeitschrift "Kammer im Gespräch" Nr. 6/04 auch die Standesorganisationen auf, im Bereich der Arzneimittelversorgung Lösungen für die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu erarbeiten.[6] Damit eröffnete sie im Bereich der Apothekerkammer Nordrhein eine Debatte, an deren Ende im November 2006 die Einrichtung der zukunftsorientierten neuen Weiterbildungsmöglichkeit für Apothekerinnen und Apotheker im Bereich "Geriatrische Pharmazie" stand.
Am 28. Februar 2008 wurden erhielten die ersten 20 Apothekerinnen und Apotheker, nachdem sie den ersten Weiterbildungszyklus durchlaufen und die anschließende Prüfung bestanden hatten, ihre Urkunden. Sie dürfen damit als erste die Bereichsbezeichnung "Geriatrische Pharmazie" in ihrem Titel führen.[7]
Herausforderungen
Eine wesentliche Herausforderung der Zukunft besteht in der Vermeidung und Bewältigung von Krankheiten und Behinderungen, die einen hohen Hilfe- und Pflegebedarf zur Folge haben. Die Verbesserungspotentiale für die Lebenssituation älterer Menschen und ihrer Angehörigen, die Geriatrischen Pharmazie bereit stellen kann, wird derzeit vielfach noch unterschätzt, insbesondere aber noch zu wenig genutzt.
Quellen
- ↑ Medikationsprobleme beim alten Menschen Petra A. Thürmann Philipp Klee-Institut für Klinische Pharmakologie HELIOS Klinikum Wuppertal Universität Witten/Herdecke -> Download
- ↑ GEK-Report; Glaeske et Janhsen, 2005
- ↑ Thesing-Bleck E. Geriatrische Pharmazie. Deutsche Apotheker Zeitung 2008; Heft 16, S. 60 - 66
- ↑ Weiterbildungsordnung für Apothekerinnen und Apotheker der Apothekerkammer Nordrhein vom 23. Juni 2004, zuletzt geändert durch Beschluss vom 29. November 2006.
- ↑ Enquetekommission "Zukunft einer frauengerechten Gesundheitsversorgung in NRW" (EKII)
- ↑ Kammer im Gespräch (KIG), 2004/06
- ↑ Die ersten Geriatrischen Pharmazeuten in Deutschland. Dtsch. Apoth Ztg 2008; 148: 1003
Weitere Literatur
- Thesing-Bleck E. : Geriatrische Pharmazie - Apotheker stellen sich den Herausforderungen des Demographischen Wandels. Dtsch. Apoth Ztg 2008; 148: 1688 - 94
- Hinneburg I, Thesing-Bleck E. Geriatrische Pharmazie: Senioren im Fokus. PZ Prisma 2011; 18:113-118
- Thesing-Bleck E, Geriatrische Pharmazie – eine Erfolgsgeschichte. Dtsch Apoth Ztg 2011 - Ausgabe 25, Weiterbildung
- Thesing-Bleck E, Hinneburg I, Schritt für Schritt zur seniorengerechten Apotheke. Dtsch Apoth Ztg 2010 - Ausgabe 23
- Baum S, Hempel G (Hrsg), Geriatrische Pharmazie - 2011 Govi Verlag, Eschborn, ISBN-10: 3774111588
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