Polypharmazie
Synonym: Multimedikation, Polypharmakotherapie
Englisch: polypharmacy
Definition
Unter Polypharmazie versteht man die gleichzeitige und dauerhafte Einnahme von mindestens fünf verschiedenen Arzneimitteln. Sie ist meist die Folge einer Multimorbidität oder einer nicht ausreichend koordinierten Behandlung durch Ärzte verschiedener Fachrichtungen.
Ursachen
Die Polypharmazie kann aus verschiedenen Gründen auftreten, darunter:
Patientenseitige Gründe
- Multimorbidität: Patienten mit mehreren chronischen Erkrankungen benötigen oft eine große Zahl von Medikamenten zur Behandlung ihrer Beschwerden.
- Alter: Ältere Patienten sind aufgrund einer erhöhten Inzidenz chronischer Erkrankungen und altersbedingter physiologischer Veränderungen besonders anfällig für Polypharmazie.
- Kognitive Einschränkungen: Patienten mit eingeschränkten kognitiven Funktionen sind oft nicht in der Lage, ihre Medikation zu überblicken und negative Begleiterscheinungen an die Behandler zu reporten.
- Pflegebedürftigkeit
- Psychische Störungen
Systemgründe
- Mangelnde pharmakologische Expertise: Den behandelnden Ärzten fehlt oft pharmakologisches Hintergrundwissen, um die Arzneimittelinteraktionen und Nebenwirkungen einer komplexen Arzneimitteltherapie einzuschätzen und eine altersadäquate Dosierung festzulegen.
- Spezialisierung: Da sich Fachärzte auf unterschiedliche Krankheitsbilder konzentrieren, kann dies zu einer Fragmentierung der Versorgung führen und die Wahrscheinlichkeit einer Polypharmazie erhöhen.
- Übertherapie oder Fehlverschreibungen: Unangemessene Verschreibungen, mangelnde Kommunikation zwischen Ärzten oder unzureichende Überprüfung der Medikamentenlisten können ebenfalls zur Polypharmazie führen.
- Mangelnde digitale Dokumentation: Die Medikation eines Patienten wird nicht arztübergreifend digital abgelegt.
Folgen
Die Polypharmazie zieht eine Reihe von Problemen nach sich. Dazu zählen u.a.:
- Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW): Die Wahrscheinlichkeit von UAWs steigt mit der Anzahl der eingenommenen Medikamente.
- Arzneimittelwechselwirkungen: Mehrere Medikamente können miteinander interagieren und ihre Wirkungen oder Nebenwirkungen verstärken oder abschwächen.
- Verminderte Therapietreue (Non-Compliance): Die Komplexität der Medikamenteneinnahme kann dazu führen, dass Patienten ihre Medikamente nicht wie vorgeschrieben einnehmen.
- Funktionelle und kognitive Beeinträchtigung: Polypharmazie kann insbesondere bei älteren Patienten zu Stürzen, Verwirrtheit und anderen Problemen führen.
Verschreibungskaskade
Unter einer Verschreibungskaskade versteht man eine Situation, bei der eine Nebenwirkung, die nach der Verordnung eines Arzneimittels auftritt, fälschlicherweise als neues medizinisches Problem eingeordnet wird. Sie wird dann mit der Verschreibung oder Selbstmedikation eines weiteren Arzneimittels beantwortet. Insofern handelt es sich um eine vermeidbare Form der Polypharmazie.[1][2]
Kosten
Die Polypharmazie ist nicht nur für die Patienten, sondern auch für das Gesundheitssystem mit erheblichen Kosten verbunden. Dazu zählen:
- Direkte Kosten: Die Kosten für die Medikamente selbst, die Verschreibung und die Versorgung.
- Indirekte Kosten: Die Kosten für die Behandlung von UAWs, Krankenhausaufenthalte, Arztbesuche und zusätzliche diagnostische Tests.
Lösungsansätze
Eine Möglichkeit zur Reduzierung der Polypharmazie ist das Deprescribing.
Quellen
- ↑ McCarthy LM et al. ThinkCascades: A Tool for Identifying Clinically Important Prescribing Cascades Affecting Older People. Drugs Aging. 2022
- ↑ Farrell B et al. "Kind of blurry": Deciphering clues to prevent, investigate and manage prescribing cascades. PLoS One. 2022
Literatur
- Halli-Tierney et al., Polypharmacy: Evaluating Risks and Deprescribing, Am Fam Physician, 2019 [1]
- Marengoni et al.: Guidelines, polypharmacy, and drug-drug interactions in patients with multimorbidity,. The BMJ, 2015 [2]
- Kühlein et al., Das Absetzen von Medikamenten, Springer Geriatrie-Report, 2021 [3]
- S3-Leitlinie - Hausärztliche Leitlinie - Multimedikation - 2021, abgerufen am 6.4.2023