Ersteinschätzung
Definition
Unter Ersteinschätzung versteht man die strukturierte Bewertung des Gesundheitszustands eines Patienten bei Erstkontakt in der Notaufnahme, Arztpraxis oder Notfallpraxis des Ärztlichen Bereitschaftsdienstpraxis (ÄBD). Ziel ist es, die Behandlungsdringlichkeit und damit die Versorgungspriorität festzulegen, nicht die Diagnose.
Hintergrund
Eine Ersteinschätzung ohne standardisiertes Verfahren birgt das Risiko, lebensbedrohliche Zustände zu übersehen oder die Behandlungsdringlichkeit falsch einzuschätzen. Gerade in hochfrequentierten Notaufnahmen und Bereitschaftspraxen ist ein strukturierter Ablauf entscheidend, um die Patientensicherheit und Versorgungsqualität zu gewährleisten.
Die Ersteinschätzung hat zum Ziel, kritisch erkrankte Patienten frühzeitig zu erkennen und ihnen unmittelbare medizinische Versorgung zu ermöglichen. Gleichzeitig können weniger dringliche Fälle nachrangig behandelt oder an den niedergelassenen Bereich weitergeleitet werden.
In Deutschland ist die Ersteinschätzung gesetzlich verankert und Bestandteil eines bundesweit einheitlichen Notfallkonzepts. Krankenhäuser sind verpflichtet, ein validiertes Verfahren einzusetzen, um eine standardisierte, nachvollziehbare und sichere Priorisierung von Patienten zu gewährleisten.[1] Die gelebte Realität kann davon aus verschiedenen Gründen abweichen.
Ersteinschätzungssysteme
In der Akutmedizin werden verschiedene standardisierte Systeme zur Ersteinschätzung eingesetzt, die sich in Aufbau und Zielrichtung unterscheiden:
- Das Manchester Triage System (MTS) arbeitet symptomorientiert mit festgelegten Entscheidungsbäumen. Anhand sogenannter Diskriminatoren wie Schmerz, Bewusstsein oder Atmung wird die Behandlungsdringlichkeit in fünf Stufen eingeteilt, die jeweils ein Zeitfenster bis zur ärztlichen Versorgung vorgeben.
- Der Emergency Severity Index (ESI) kombiniert die Einschätzung der Dringlichkeit mit einer Prognose des zu erwartenden Ressourcenverbrauchs. Neben der Vitalgefährdung werden auch der notwendige diagnostische oder therapeutische Aufwand berücksichtigt, um Patienten effizient den passenden Versorgungswegen zuzuordnen.
- Die Strukturierte medizinische Ersteinschätzung in Deutschland (SmED) verfolgt einen sektorenübergreifenden Ansatz. Sie bewertet nicht nur die Dringlichkeit innerhalb der Notaufnahme, sondern auch, ob eine ambulante Versorgung im vertragsärztlichen Bereich ausreichend ist. Dadurch unterstützt sie eine einheitliche, nachvollziehbare Zuweisung und kann zur Entlastung der Akutstrukturen beitragen.
Abgrenzung Triagierung
Während die Triage primär in Katastrophen- oder Großschadenslagen eingesetzt wird, dient die Ersteinschätzung dem klinischen Alltag zur Priorisierung in Überlastungssituationen. Beide Verfahren verfolgen dasselbe Ziel, eine schnelle, sichere Priorisierung, unterscheiden sich jedoch in Zielsetzung, Umgebung und Methodik.
Literatur
- Gräff et al., The German Version of the Manchester Triage System and Its Quality Criteria – First Assessment of Validity and Reliability, PLoS ONE, 2014
- da Silva et al., Emergency Severity Index: accuracy in risk classification, Einstein (Sao Paulo), 2017
- Ebbers et al., Einsatz von SmED bei Notfallpatient:innen mit geringer Fallschwere in einem universitären Notfallzentrum, Notfall Rettungsmed, 2024
- Gemeinsamer Bundesausschuss, Zusammenfassende Dokumentation zur Ersteinschätzungs-Richtlinie, 2023
Quellen
- ↑ Sozialgesetzbuch § 120 SGB V – Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen