Otitis externa maligna
Synonyme: Otitis externa necroticans, Osteomyelitis des Schläfenbeins
Englisch: malignant otitis externa (MOE)
Definition
Unter einer Otitis externa maligna versteht man eine aggressiv verlaufende, meist nekrotisierende Entzündung des äußeren Gehörgangs, die auf angrenzende Strukturen wie Knochen, Knorpel und Weichteilgewebe inklusive Hirnnerven übergreifen kann.
Ätiopathogenese
Die maligne Otitis externa entwickelt sich aus einer Infektion des Gehörgangs, wobei in 90 % der Fälle Pseudomonas aeruginosa, seltener Staphylococcus aureus oder eine polymikrobielle Mischflora nachgewiesen werden kann. Prädisponierende Faktoren sind Diabetes mellitus, Immunsuppression (z.B. bei Tumortherapie, HIV, Niereninsuffizienz, Steroidtherapie) und hohes Lebensalter. Bei diabetischen Patienten führt die Mikroangiopathie zu einer verminderten lokalen Durchblutung, was die Abwehrreaktion gegen Pseudomonaden stark einschränkt. Hinzu kommt eine gestörte Funktion der neutrophilen Granulozyten und eine reduzierte Epithelbarriere.
Der Infektionsweg beginnt typischerweise mit einer banalen Otitis externa diffusa, meist nach Manipulation im Gehörgang oder durch chronische Feuchtigkeit (z.B. Baden, Hörgeräte, Wattestäbchen). Die Erreger dringen durch den erweichten Epithelschutz in die subepitheliale Schicht und von dort in die knöcherne Gehörgangswand ein. Über vaskuläre und perineurale Strukturen kann die Infektion entlang der Fissurae Santorini, des Foramen tympanicum (Huschke) und des Foramen stylomastoideum in Richtung Felsenbein, Parotisloge und Schädelbasis fortschreiten.
Klinik
Die Otitis externa maligna beginnt meist unscheinbar mit Symptomen einer gewöhnlichen Otitis externa, entwickelt sich jedoch rasch zu einer schweren Infektion. Leitbefund sind starke, bohrende, oft nächtliche Ohrschmerzen, die in ihrer Intensität die klinischen Entzündungszeichen übertreffen und häufig in die Kiefergelenks-, Schläfen- oder Okzipitalregion ausstrahlen. Der Schmerz bleibt trotz lokaler Therapie bestehen, was als Warnzeichen gilt.
Klinisch zeigt sich ein geschwollener, schmerzhafter äußerer Gehörgang mit granulationsartigem Gewebe am Boden, insbesondere im Bereich der Knorpel-Knochen-Grenze. Häufig treten serös-eitrige oder blutig-seröse Sekrete auf. Fieber ist meist nur gering ausgeprägt oder fehlt.
Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zur Ausbreitung der Infektion entlang der Schädelbasis, was sich durch Hirnnervenausfälle äußern kann. Zunächst ist typischerweise der Nervus facialis betroffen, später auch Nervi glossopharyngeus, vagus und accessorius. Bei Ausdehnung in die Felsenbeinregion können Dysphonie, Dysphagie oder Schulterschwäche hinzukommen.
Weitere Zeichen sind trismusähnliche Beschwerden bei Parotis- oder Kaumuskelausdehnung, persistierende Otalgie trotz Antibiotikatherapie, Schwerhörigkeit, allgemeine Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust bei chronischem Verlauf.
Komplikationen
Unbehandelt bzw. zu spät erkannt kann die Otitis externa maligna in eine sklerosierende Osteomyelitis der Schädelbasis übergehen. Typische Komplikationen sind:
- Schädelbasisosteomyelitis mit Destruktion von Os temporale, Os sphenoidale und Clivus
- Beteiligung der Hirnnerven, v.a. Nervus facialis, seltener Nervus glossopharyngeus, vagus und accessorius.
- Thrombophlebitis der duralen Sinus, insbesondere des Sinus sigmoideus oder Sinus petrosus inferior, mit dem Risiko einer Sinusvenenthrombose
- Meningitis oder Hirnabszess als Spätkomplikationen
- Chronisch-rezidivierender Verlauf mit persistierender Osteomyelitis trotz initialer Therapie
Diagnostik
Basisdiagnostik
Entscheidend für die Diagnostik einer Otitis externa maligna ist die Abgrenzung von oberflächlichen Entzündungen sowie der Nachweis einer Knochen- und Weichteilbeteiligung. Otoskopisch zeigt sich ein typischer Befund aus Granulationsgewebe und Gehörgangsschwellung in Kombination mit persistierenden Schmerzen trotz lokaler Therapie. Bei Verdacht auf eine Fazialisparese wird eine neurologische Untersuchung und ggf. Elektroneurographie ergänzt. Für die mikrobiologische Untersuchung (Erregeridentifikation und Resistenztestung) werden Abstriche oder Biopsien aus dem entzündeten Areal entnommen. Im Labor sind die Entzündungsparameter (CRP, BSG, Leukozyten) meist mäßig erhöht. Sie dienen insbesondere der Verlaufskontrolle.
Radiologie
Zur Ausbreitungsdiagnostik werden radiologische Verfahren eingesetzt:
- CT: knöcherne Destruktion, Ausdehnung in Richtung Mastoid, Foramen stylomastoideum oder Schädelbasis.
- MRT: Beurteilung der Weichteilausdehnung, einer duralen oder vaskulären Beteiligung sowie der Hirnnerven.
Nuklearmedizin
Die Gallium-67- oder Leukozytenszintigraphie sowie die 18F-FDG-PET/CT sind hochsensitiv zur Detektion aktiver Entzündungsherde und dienen der Therapiekontrolle.
Differenzialdiagnosen
- Chronische Otitis externa: oberflächliche, nicht invasive Entzündung ohne ossäre Beteiligung und ohne Hirnnervenbeteiligung
- Chronische Otitis media: entzündliche Prozesse der Paukenhöhle, oft mit Trommelfellperforation, aber ohne ausgedehnte Weichteilinfektion des Gehörgangs.
- Zoster oticus (Ramsay-Hunt-Syndrom): vesikulärer Ausschlag, starke Ohrenschmerzen und Fazialisparese; viral bedingt.
- Cholesteatom des Felsenbeins: chronisch destruktiver Prozess mit knöcherner Erosion, aber keine Pseudomonas-Infektion und keine Weichteilnekrose.
- Maligne Tumoren des äußeren Gehörgangs (z.B. Plattenepithelkarzinom): klinisch ähnlich, mit Granulationsgewebe und Schmerzen, histologisch abgrenzbar.
- Schädelbasisosteomyelitis anderer Genese: z.B. nach postoperativer Infektion, Trauma oder hämatogener Streuung.
Therapie
Die Therapie der Wahl bei Otitis externa maligna besteht in einer systemischen, langandauernden antibiotischen Behandlung mit Pseudomonas-wirksamen Substanzen, kombiniert mit einer konsequenten lokalen Sanierung und Kontrolle der Grunderkrankung (meist Diabetes mellitus).
Systemische Antibiose
- Mittel der ersten Wahl: Ciprofloxacin (hochdosiert, oral oder i.v., je nach Schweregrad).
- Alternativen bei Resistenz oder Therapieversagen: Ceftazidim, Cefepim, Piperacillin/Tazobactam, ggf. Kombination mit Aminoglykosiden oder Carbapenemen.
- Therapiedauer: in der Regel 6 bis 8 Wochen, orientiert am klinischen Verlauf (inklusive BSG und CRP) und am Befund in der Bildgebung (v.a. Gallium- oder Leukozytenszintigraphie, ggf. PET/CT oder MRT).
Topische Maßnahmen
- Mechanische Reinigung und lokale antiseptische Behandlung des äußeren Gehörgangs.
- Kein Einsatz ototoxischer Tropfen bei Trommelfellperforation.
Chirurgische Therapie
Aggressives Débridement oder Resektion ganzer Knochenabschnitte wird nicht mehr routinemäßig durchgeführt, da sie die Prognose nicht verbessern, aber die Morbidität erhöhen. Nur bei Sequestern, Abszessen oder ausgedehnter Nekrose ist ein gezieltes chirurgisches Vorgehen indiziert.
Hyperbare Sauerstofftherapie
Die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) kann adjuvant erwogen werden, wenn unter adäquater Antibiotikatherapie keine Besserung eintritt. Ein Nutzen ist nur in Einzelfällen beschrieben.
Prognose
Die Letalität konnte dank moderner Antibiotikatherapie von > 50 % auf heute unter 5 % gesenkt werden. Sie kann jedoch bei immunsupprimierten oder schlecht eingestellten Diabetikern deutlich höher liegen. Entscheidend für den Verlauf ist der Zeitpunkt der Diagnosestellung. Früh erkannte und adäquat behandelte Fälle heilen in der Regel folgenlos aus. Spät diagnostizierte Verläufe mit ossärer Destruktion oder Hirnnervenbeteiligung führen häufig zu einem chronisch-persistierenden Verlauf mit Rezidivneigung und möglicher dauerhafter Fazialisparese. Rezidive treten bei etwa 10–15 % der Patienten auf, meist infolge unzureichender Therapie oder persistierender Risikofaktoren.