Visuelle Analgesie
Synonym: visuell induzierte Analgesie
Englisch: visually induced analgesia
Definition
Von einer visuellen Analgesie spricht man, wenn während des Betrachtens einer schmerzenden Körperstelle die subjektiv erlebte Schmerzintensität nachlässt. Es gibt sowohl für akute Schmerzen (z.B. Schmerzinduktion an der Hand) als auch für chronische Schmerzen (z.B. chronische Rückenschmerzen) Belege für das Phänomen der visuellen Analgesie.
Hintergrund
Eine visuelle Analgesie ist nicht von der direkten Sichtbarkeit der Körperstelle abhängig. Sie lässt sich auch durch Spiegel, synchrone Video-Aufnahmen oder die Visualisierung des eigenen Körpers in einer VR-Umgebung triggern.
Wirkmechanismen
Die genauen Mechanismen der visuellen Analgesie sind unklar. Es werden verschiedene Abläufe diskutiert, die vermutlich in unterschiedlichem Umfang am Prozess beteiligt sind.
Neuromodulation
Wird ein schmerzhaftes Körperareal vom Patienten visuell in einem „intakten“ Zustand wahrgenommen, kann dies die Schmerzwahrnehmung signifikant reduzieren. Für eine Körperstelle, die gesund aussieht, besteht die Erwartungshaltung, dass sie nicht schmerzt. Die visuelle Rückkopplung bewirkt wahrscheinlich eine Neuromodulation des Schmerzes durch höhere Hirnzentren.
Modifikation der Schmerzausdehnung
Das zusätzliche visuelle Feedback verbessert die Auflösung des verarbeiteten Schmerzreizes und bewirkt dadurch eine Eingrenzung der subjektiv erlebten Schmerzausdehnung. Ursächlich für diesen Mechanismus scheinen neuronale Verbindungen zwischen der Schmerzmatrix und den Arealen des posterior-parietalen Assoziationskortex zu sein.
Fokussierung
Aufgrund der engen Kopplung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit führt ein Betrachten der schmerzenden Körperstelle zu einer Fokussierung auf den Schmerz. Es gibt Belege, dass das Fokussieren eine Reduktion der erlebten Schmerzintensität nach sich ziehen kann. Hier muss aber berücksichtigt werden, dass auch gegenteilige Studienergebnisse vorliegen. Dieser Mechanismus ist vermutlich stark kontextabhängig.
Verbesserung des Körpergefühls
Die Ergänzung somatosensorischer Informationen durch visuelles Feedback (insbes. bei normalerweise visuell unerreichbaren Stellen wie dem Rücken) erzeugt ein besseres Körpergefühl, das die negativen Affekte der erlebten Schmerzintensität abmildern kann. Auch zu diesem Mechanismus gibt es widersprüchliche Befunde – wahrscheinlich besteht ebenfalls eine hohe Kontextabhängigkeit.
Bedeutung
Der gezielte Einsatz von visuellen Analgesien kann in bestimmten Fällen eine sinnvolle Ergänzung des Schmerzmanagements sein. Insbesondere bei chronischen Schmerzen ist die Erarbeitung individueller Verhaltensstrategien ein wichtiger Faktor der erfolgreichen Schmerzbehandlung.
Literatur
- Cordier, L., Bordewieck, M. & Diers, M. (2018). Therapieansatz der visuellen Analgesie. 360-ot.de
- Diers, M. & Löffler, A. (2020). Sehen & Fühlen. sportärztezeitung.com
- Mosch, B., Fuchs, X., Tu, T. & Diers, M. (2025). Time course of the rubber hand illusion-induced analgesia. Pain Reports 10(2).
- Ullrich, E. (2021). Sehen, was man am Rücken fühlt. Die Effekte visuell induzierter Analgesie und somatosensorischer Aufmerksamkeit auf die Schmerzwahrnehmung. [Dissertation] Ruhr-Universität Bochum.