Istanbul-Protokoll
Englisch: Istanbul protocol, Manual on Effective Investigation and Documentation of Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment
Definition
Das Istanbul‑Protokoll ist das von den Vereinten Nationen anerkannte Handbuch zur wirksamen Untersuchung und Dokumentation von Folter sowie anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlungen oder Strafen. Es bildet so den ersten internationalen Standard für die medizinisch‑psychologische und juristische Dokumentation.[1]
Geschichte
Das Istanbul-Protokoll wurde 1999 als UN‑Dokument anerkannt; eine überarbeitete Ausgabe erschien 2004 (UN Professional Training Series No. 8/Rev.1).[2] Die umfassende Revision von 2022 bündelt Anwendungserfahrungen und aktualisiert Recht, Ethik, klinische Verfahren und Implementierungsvorgaben; sie entstand mit Beiträgen von über 180 Expertinnen und Experten aus 51 Ländern.[1][3]
Inhalte
Kernelemente des Istanbul-Protokolls sind standardisierte Anamnesebögen, Körperschemata, Fotodokumentationen mit Maßstab und Uhrzeit, "Chain‑of‑Custody"‑Formulare sowie eine schlüssige Konsistenzbewertung. Es gelten die Prinzipien der Objektivität, Vollständigkeit, informierten Einwilligung, Vertraulichkeit und Gefährdungsminimierung (Retraumatisierungsprophylaxe).[1][4]
- relevante internationale Rechtsnormen und Begriffsabgrenzungen zu Folter und Misshandlung,
- ethische Leitlinien für juristische und Gesundheitsberufe
- Leitfäden für rechtliche Ermittlungen und Befragungen
- aktualisierte klinische Verfahren zur Erhebung körperlicher und psychischer Befunde inkl. vulnerable Gruppen (Kinder, LGBTI)
- Kriterien zur Interpretation und zur begründeten Konsistenzbewertung von Befunden
- Umsetzungskapitel für Staaten und Institutionen
Medizinisch‑forensische Kernelemente
Das Gesundheitspersonal identifiziert, dokumentiert und begutachtet Folterfolgen, erstellt gerichtsfeste Berichte für Straf‑, Zivil‑ und Asylverfahren und arbeitet interdisziplinär mit Rechtsmedizin, Psychologie, Rechtsbeiständen und Menschenrechtsorganisationen zusammen.[1][6]
Erforderlich sind dabei eine zeitnahe Fotodokumentation mit Maßstab/Metadaten und eine lückenlose Beweisführung. Der Befundbericht enthält eine begründete Aussage zur Konsistenz zwischen den erhobenen Befunden und den geschilderten Misshandlungen (Wahrscheinlichkeitsbewertung).[1][4]
Implementierung
Die Implementierung des Istanbul-Protokolls setzt Gesetzesreformen, institutionelle Leitlinien, unabhängige Untersuchungsmechanismen, qualifizierte Schulungen und Monitoring voraus. Die aktuelle Auflage (Stand 2022) enthält ein eigenes Implementierungskapitel und Praxisleitlinien.[1] Internationale Trainingsprogramme (z.B. von Physicians for Human Rights) verbreiten die Standards in Behörden‑ und Klinikpraxis.[6]
Rechtliches
Das Istanbul‑Protokoll operationalisiert staatliche Pflichten aus internationalen und regionalen Anti‑Folter‑Normen (u.a. UN‑Antifolterkonvention) durch konkrete Standards für Ermittlungen, Dokumentation, Evidenzbewertung und Berichterstattung.[1] Es wird von UN‑Mechanismen, Gerichten und nationalen Stellen als Maßstab genutzt und dient der Prävention, Rechenschaft und Wiedergutmachung.[6]
Quellen
- Istanbul Protocol (Manual 2022) (OHCHR, Vereinte Nationen)
- The Istanbul Protocol (Physicians for Human Rights)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Istanbul Protocol: Manual on the Effective Investigation and Documentation of Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (2022 edition), 2022
- ↑ Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, Istanbul Protocol (Training Manual and 2004 revision), UN Professional Training Series No. 8/Rev.1 2004
- ↑ Geneva Academy, One Step Closer to a World Without Torture – Launch of the Istanbul Protocol 2022, 2022
- ↑ 4,0 4,1 Physicians for Human Rights, Conducting Istanbul Protocol Clinical Evaluations of Alleged Torture and Ill‑Treatment in Conflict Settings 2022
- ↑ Physicians for Human Rights, The Istanbul Protocol 2022 Edition – Summary of Changes, 2022
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Physicians for Human Rights, The Istanbul Protocol – Setting Anti‑Torture Norms, 2023