Epileptischer Anfall
Synonym: Zerebraler Krampfanfall
Englisch: seizure, epileptic seizure
Definition
Als epileptischen Anfall bezeichnet man das transiente Auftreten verschiedener Symptome, die durch eine abnorme Überaktivität oder synchrone Aktivität von Neuronen im ZNS entstehen. Der Anfall kann sich durch motorische und/oder sensible und/oder vegetative Ausfallserscheinungen manifestieren.
Nomenklatur
Die Begriffe "epileptischer Anfall" und "Epilepsie" lassen sich wie folgt unterscheiden:
- Ein Anfall ist ein isoliertes klinisches Ereignis.
- Epilepsie ist eine Erkrankung, bei der es wiederholt zu spontan auftretenden Anfällen kommt. Sie liegt vor, wenn mindestens zwei nicht provozierte, einzelne Anfallsereignisse vorgefallen sind.
Ätiolopathogenese
siehe: Epilepsie
ILAE-Klassifikation
Epileptische Anfälle werden nach der ILAE-Klassifikation von 2017 nach der Form ihrer Ausbreitung unterteilt in fokale Anfälle, bei denen die Übererregung auf ein Areal beschränkt bleibt, generalisierte Anfälle, bei denen sich die Anfallszeichen über beide Hemisphären erstrecken, und Anfälle mit unbekannter Ausbreitung. Grundlage der Einordnung sind Beobachtungen aus EEG-Untersuchungen und die jeweilige Klinik.
Fokale Anfälle
Fokale Anfälle sind auf eine bestimmte Gehirnregion beschränkt. Sie lassen sich optional in Anfälle ohne Bewusstseinsstörung und Anfälle mit Bewusstseinsstörung unterteilen - nach älterer Terminologie "einfach-fokal" und "komplex-fokal". Die zentrale Differenzierung erfolgt im Hinblick auf das Vorhandensein motorischer Störungen:
- Fokale Anfälle mit initialen motorischen Störungen
- Fokale Anfälle ohne initiale motorische Störungen
Des Weiteren gibt es fokale Anfälle mit Entwicklung zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen, die früher als "sekundär generalisierte Anfälle" bezeichnet wurden.
Generalisierte Anfälle
Generalisierte Anfälle gehen von beiden Hemisphären des Gehirns aus, die Entladungen lassen sich keinem bestimmten Fokus zuordnen. Sie werden analog den fokalen Anfällen in Anfälle mit und ohne motorische Störungen unterteilt:
- Generalisiert beginnende Anfälle mit motorischen Störungen
- tonisch-klonische Anfälle
- klonische Anfälle
- tonische Anfälle
- myoklonische Anfälle
- myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle
- myoklonisch-atonische Anfälle
- atonische Anfälle
- epileptische Spasmen
- Generalisiert beginnende Anfälle ohne motorische Störungen (Absencen)
- typische Absencen
- atypische Absencen
- myoklonische Absencen
- Absencen mit Lidmyoklonien
Tonisch-klonische Anfälle wurden früher als "Grand mal", Absencen als "Petit mal" bezeichnet.
Nicht alle epileptischen Anfälle lassen sich nach dem obigen Schema klassifizieren. So kann es durchaus generalisierte Anfälle nur einer Hemisphäre (z.B. Jackson-Anfall) oder von multiplen Herden ausgehende fokale Anfälle geben. Anfälle, die wegen unzureichender oder unvollständiger Daten nicht klassifiziert werden können bzw. bei denen eine Zuordnung unmöglich ist, werden deshalb als "nicht klassifizierbare epileptische Anfälle" bezeichnet.
Anfallsqualitäten
Von einem Anfall können unterschiedliche ZNS-Funktionen betroffen sein, die dann das klinische Bild prägen. Dementsprechend kann man auch grob differenzieren in:
- Motorische Anfälle: Motorische Anfälle generieren im primär- oder sekundär motorischen Cortex und äußern sich durch klonische kontinuierliche (Epilepsia partialis continua) oder diskontinuierliche Krampfanfälle einzelner Muskelgruppen.
- Sensible Anfälle: Sensible Anfälle haben ihren Ursprung im somatosensorischen Cortex des Parietallappens. Sie verursachen Sensibilitätsstörungen (Parästhesien) einzelner Körperregionen der kontralateralen Seite.
- Sensorische Anfälle: Sensorische Anfälle betreffen die Sinnesmodalitäten der visuellen, akustischen, Geruchs-, Geschmacks- oder Gleichgewichtswahrnehmung und gehen mit entsprechenden Halluzinationen (optische, akustische, olfaktorische, gustatorische) einher.
- Vegetative Anfälle: Vegetative bzw. autonome Anfälle verursachen eine sympathische oder vagale Tonuserhöhung. Sympathische Symptome sind Schweißausbrüche, Tachykardie und Hypertonie, Hyperämie der Haut und/oder Mydriasis. Der parasympathikotone Hypertonus äußert sich in Bradykardie und Hypotonie, Hautblässe und/oder Miosis.
- Anfälle mit psychischen Phänomenen
Verlauf
Epileptische Anfälle verlaufen in der Regel selbstlimitierend, wobei die Anfallsdauer von der jeweiligen Ursache und Anfallsform abhängig ist.
Komplikationen
Generell besteht die Möglichkeit der Degeneration in einen persistierenden und möglicherweise therapierefraktären Anfallsverlauf (Status epilepticus).
Pharmakotherapie
Nach der Leitlinie "Epilepsien im Erwachsenenalter" (2023) sind bevorzugt Monotherapien einzusetzen. Polytherapien mit mehr als zwei Anfallssuppressiva sollten vermieden werden.[1]
- Bei einer fokalen, neu aufgetretenen Epilepsie ist Lamotrigin das Mittel der ersten Wahl. Alternativ können Lacosamid oder Levetiracetam eingesetzt werden, bei Patienten über 65 Jahre auch Gabapentin.
- Bei genetischen generalisierten Epilepsien mit motorischen Störungen (Myoklonien, tonisch-klonische Anfälle) wird bevorzugt Valproinsäure gegeben. Bei Frauen, muss dabei eine Konzeption sicher ausgeschlossen werden. Kommt Valproinsäure nicht infrage, sollte man Lamotrigin oder Levetiracetam (Off-Label) verwenden.
Einen Sonderfall stellen Frauen dar, bei denen eine Konzeption nicht sicher ausgeschlossen werden kann, da hier potentiell fetotoxische Therapieeffekte vermieden werden müssen. Ihnen sollte bei fokaler Epilepsie Lamotrigin in einer möglichst niedrigen, wirksamen Dosis (präkonzeptionell nicht über 325 mg pro Tag) oder Levetiracetam gegeben werden.
Valproinsäure kommt bei diesen Frauen nur dann infrage, wenn andere Anfallssuppressiva nicht wirksam oder verträglich waren. Die Valproinsäure-Dosis sollte 650 mg pro Tag nicht überschreiten, wobei die Tagesdosis auf drei bis vier Einzelgaben verteilt werden kann. Bei Schwangerschaftswunsch sollte Folsäure in einer Dosierung von 0,4 bis 0,8 mg/d eingenommen werden. Eine Stillzeit ist unabhängig von der Einnahme eines Antikonvulsivums für 4 bis 6 Monate sinnvoll.
Quellen
- ↑ Holtkamp M et al. Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie, 2023; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Abgerufen am 05.10.2023