Vasogenes Ödem
Definition
Das vasogene Ödem ist eine Form des Hirnödems, die durch eine Störung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) mit konsekutivem Austritt von Plasmaflüssigkeit und Proteinen in den Extrazellulärraum des Gehirns entsteht. Typischerweise ist das weiße Marklager betroffen, da dort der Extrazellulärraum größer ist als in der grauen Substanz.
Ein vasogenes Ödem tritt u.a. bei Hirntumoren, Entzündungen, Traumata, Abszessen sowie in der Spätphase ischämischer Läsionen auf.
Pathophysiologie
Ursächlich ist eine erhöhte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke infolge struktureller oder funktioneller Schädigungen der Endothelzellen, Tight Junctions oder der Basalmembran. Durch die gestörte Schrankenfunktion gelangen vor allem Albumin und weitere Plasmaproteine aus dem Gefäßsystem in das Interstitium, wodurch ein osmotischer Gradient entsteht, der zusätzlich Wasser in das Gewebe zieht.
Diese Flüssigkeitsansammlung führt zu einer deutlichen Volumenzunahme des betroffenen Hirnareals und erhöht den intrakraniellen Druck. Besonders vulnerabel ist das Marklager, in dem sich das Ödem entlang der Faserbahnen ausbreitet.
Zu den molekularen Mediatoren, die die Schrankenintegrität beeinträchtigen, zählen Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF), Bradykinin, Stickstoffmonoxid (NO) sowie Matrix-Metalloproteinasen (z. B. MMP-9). Diese Substanzen erhöhen die Gefäßpermeabilität, modulieren Entzündungsreaktionen und fördern den Flüssigkeitsaustritt in den Extrazellulärraum.
Abgrenzung
Abgegrenzt vom vasogenen Ödem wird das zytotoxische Ödem, bei dem Flüssigkeit intrazellulär akkumuliert und die Blut-Hirn-Schranke intakt bleibt. Beide Ödemformen gehen fließend ineinander über und treten meist gleichzeitig auf, etwa bei Schlaganfällen, traumatischen Läsionen oder Tumoren. Das zytotoxische Ödem stellt dabei meist die frühe, potenziell reversible Phase dar, während das vasogene Ödem in der Regel sekundär und irreversibel auftritt. Ein Übergang vom zytotoxischen zum vasogenen Ödem ist insbesondere bei prolongierter Ischämie typisch und markiert eine fortgeschrittene Gewebeschädigung mit sekundärer Öffnung der Blut-Hirn-Schranke.
Bildgebung
In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt sich das vasogene Ödem als hyperintenses Signal in T2- und FLAIR-Sequenzen mit bevorzugter Marklagerbeteiligung. Die Diffusion ist in den betroffenen Arealen erhöht, was sich in einem gesteigerten Apparent Diffusion Coefficient (ADC) widerspiegelt.
In der kontrastmittelgestützten MRT weist die Kontrastmittelanreicherung des ursächlichen Läsionsgewebes (z. B. Tumor, Abszess, Entzündung) auf eine gestörte Blut-Hirn-Schranke hin, während das peritumorale Ödem selbst keine eigenständige Anreicherung zeigt.
Im Computertomogramm (CT) erscheinen die betroffenen Regionen hypodens, häufig mit fingerförmigen Ausläufern entlang der Faserbahnen und möglicher Massenverschiebung (Mittellinienverlagerung, Kompression der Ventrikel).
Klinische Bedeutung
Durch die Volumenzunahme kann es durch einen Anstieg des intrakraniellen Drucks (ICP) zu einer sekundären Beeinträchtigung der zerebralen Perfusion kommen. Klinisch äußert sich das je nach Lokalisation durch Kopfschmerzen, Vigilanzstörungen, fokale neurologische Ausfälle oder Zeichen der Hirndrucksteigerung bis hin zum Einklemmungssyndrom.
Therapeutisch steht die Senkung des intrakraniellen Drucks im Vordergrund. Je nach Ursache erfolgt die Behandlung mit:
- Glukokortikoiden (z. B. Dexamethason) bei tumorassoziiertem oder entzündlichem Ödem,
- osmotischer Therapie (Mannitol, hypertones NaCl),
- chirurgischer Entlastung bei massiver Raumforderung,
- sowie einer Therapie der Grunderkrankung.
Glukokortikoide sind bei akutem ischämischem Schlaganfall[1] oder traumatischer Hirnverletzung[2] nicht indiziert, da randomisierte Studien dort keinen Nutzen, teils sogar eine erhöhte Mortalität gezeigt haben.
Literatur
- Kempski O. Cerebral edema. Semin Nephrol. 2001;21(3):303-307. doi:10.1053/snep.2001.21665
- Kim JE, Ryu HJ, Kang TC. Status epilepticus induces vasogenic edema via tumor necrosis factor-α/ endothelin-1-mediated two different pathways. PLoS One. 2013;8(9):e74458. Published 2013 Sep 5. doi:10.1371/journal.pone.0074458
- Rosenberg GA, Yang Y. Vasogenic edema due to tight junction disruption by matrix metalloproteinases in cerebral ischemia. Neurosurg Focus. 2007;22(5):E4. Published 2007 May 15. doi:10.3171/foc.2007.22.5.5
- Piazza M, Munasinghe J, Murayi R, et al. Simulating vasogenic brain edema using chronic VEGF infusion. J Neurosurg. 2017;127(4):905-916. doi:10.3171/2016.9.JNS1627
- Nag S, Manias JL, Stewart DJ. Pathology and new players in the pathogenesis of brain edema. Acta Neuropathol. 2009;118(2):197-217. doi:10.1007/s00401-009-0541-0
Quellen
- ↑ Wang Y, Huang L, Li J, et al. Efficacy and safety of corticosteroids for stroke and traumatic brain injury: a systematic review and meta-analysis. Syst Rev. 2025;14(1):54. Published 2025 Mar 4. doi:10.1186/s13643-025-02803-5
- ↑ Czekajlo MS, Milbrandt EB. Corticosteroids increased short and long-term mortality in adults with traumatic head injury. Crit Care. 2005;9(5):E21. Published 2005 Sep 8. doi:10.1186/cc3813