Turm von London
Synonyme: Turm-von-London-Test, TvL
Englisch: Tower of London test, TOL
Definition
Der Turm von London, kurz TvL, ist ein etabliertes neuropsychologisches Testverfahren zur Untersuchung exekutiver Funktionen, insbesondere der Fähigkeit zur Handlungsplanung. Er wurde 1982 von Tim Shallice auf der Grundlage des Turm von Hanoi entwickelt, um Planungsdefizite bei Patienten mit Läsionen im präfrontalen Kortex zu erfassen. Heute findet der Test breite Anwendung in der klinischen Neuropsychologie, der kognitiven Neurowissenschaft und der psychologischen Forschung.
Testaufbau und Durchführung
Der klassische Turm von London besteht aus zwei Testbrettern mit je drei unterschiedlich hohen Stäben und mehreren verschiedenfarbigen Kugeln. Eine der Bretter zeigt eine Zielkonfiguration, die das Gegenüber durch Umsetzen der Kugeln auf seinem eigenen Brett unter bestimmten Regeln erreichen soll. Zu diesen Regeln zählen u.a.:
- Es darf immer nur eine Kugel bewegt werden.
- Es darf nur die oberste Kugel eines Stabes aufgenommen werden.
- Es gilt, die Aufgabe mit möglichst wenigen Zügen zu lösen.
Die Testaufgaben variieren im Schwierigkeitsgrad durch unterschiedliche Zielstellungen, die mehr oder weniger Züge zur Lösung erfordern. Die Aufgaben können sowohl manuell als auch über computergestützte Versionen (z.B. TOL-DX, PEBL oder CANTAB-SoC) präsentiert werden.
Diagnostische Auswertung
Die Leistungsbeurteilung erfolgt anhand folgender Parameter:
- Zuganzahl im Vergleich zur minimal notwendigen Anzahl als Maß für die Planungseffizienz
- Planungszeit (Zeit vor dem ersten Zug) zur Beurteilung der strategischen Vorbereitung
- Gesamtbearbeitungszeit, Fehlerzahl sowie Regelverstöße zur Differenzierung impulsiver, unstrukturierter oder perseverativer Lösungsansätze
Je nach Version und Zielgruppe existieren umfangreiche Normwerte, etwa zur Altersanpassung oder zur differenzierten Einschätzung von Störungen der Exekutivfunktionen.
Anwendungsbereiche
Der Turm von London wird eingesetzt zur:
- Diagnostik von Planungs- und Problemlösedefiziten bei frontalen Hirnschädigungen, z.B. nach Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma oder Tumoren
- Beurteilung kognitiver Funktionsstörungen bei neurodegenerativen Erkrankungen (z.B. Parkinson, Alzheimer)
- Abklärung bei ADHS und weiteren entwicklungsneurologischen Störungen
- Evaluation kognitiver Rehabilitationsmaßnahmen
- Forschung zu exekutiven Funktionen und deren neuronaler Grundlage
Einschränkungen
Der Test erfasst eine spezifische Komponente exekutiver Funktionen unter künstlichen Bedingungen. Seine ökologische Validität – also die Übertragbarkeit auf komplexe Planungsanforderungen im Alltag – ist daher begrenzt. Zudem unterscheiden sich die Testversionen teils deutlich in Aufbau und Auswertung, was direkte Vergleiche erschwert.
Literatur
- Unterrainer JM, Rahm B, Kaller CP, et al. Assessing Planning Ability Across the Adult Life Span in a Large Population-Representative Sample: Reliability Estimates and Normative Data for the Tower of London (TOL-F) Task. J Int Neuropsychol Soc. 2019;25(5):520-529. doi:10.1017/S1355617718001248