Darmflora
Synonyme: Flora intestinalis, Intestinalflora, Darmmikrobiom, intestinale Mikrobiota, intestinales Mikrobiom
Englisch: intestinal flora, gut microbiome
Definition
Die Darmflora bezeichnet die Gesamtheit der Mikroorganismen, die den menschlichen Darm, insbesondere den Dickdarm (Colon), besiedeln. Es handelt sich überwiegend um Bakterien, daneben aber auch um Archaeen, Pilze, Viren und Protozoen. Die bakterielle Besiedlung besteht primär aus Vertretern der Enterobacteriaceae (z.B. Escherichia coli), Enterokokken, Bacillus-Spezies und Bacteroides.
Hintergrund
Die bakterielle Besiedelung des menschlichen Gastrointestinaltrakts ist regional stark unterschiedlich ausgeprägt. Während Magen und Dünndarm aufgrund von Magensäure, Galle und Peristaltik nur geringe Keimzahlen aufweisen (ca. 10³–10⁵ KBE/g), erreicht die Dichte im Kolon Werte von bis zu 10¹² koloniebildenden Einheiten (KBE) pro Gramm Darminhalt. Insgesamt beherbergt der menschliche Darm schätzungsweise 100 Billionen (1014) Mikroorganismen. Die Gesamtmasse der Darmmikroorganismen beträgt beim Erwachsenen etwa 1 bis 2 Kilogramm.
Mikrobiologische Zusammensetzung
Die häufigsten Phyla sind:
- Firmicutes (z.B. Lactobacillus, Clostridium)
- Bacteroidetes (z.B. Bacteroides, Prevotella)
- Actinobacteria (z.B. Bifidobacterium)
- Proteobacteria (z.B. Escherichia coli)
- Verrucomicrobia (z.B. Akkermansia muciniphila)
Die Zusammensetzung variiert interindividuell und wird beeinflusst durch Geburt (vaginal vs. Sectio), Ernährung, Antibiotikaexposition, Lebensstil, Alter und Umwelt.
Einteilung
In Abhängigkeit vom dominierenden Bakterienstamm werden drei verschiedene Enterotypen unterschieden:
- Enterotyp 1: Bacteroides
- Enterotyp 2: Prevotella
- Enterotyp 3: Ruminococcus
Diese Einteilung ist weitgehend unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Alter oder Geschlecht. Sie spiegelt vielmehr langfristige Ernährungsgewohnheiten wider (z.B. fleischbetont vs. ballaststoffreich).
Physiologie
Die Darmflora übernimmt essenzielle Funktionen für den Erhalt der gastrointestinalen, immunologischen und metabolischen Homöostase. Dazu zählen u.a.:
- Stoffwechselaktivität: Fermentation unverdaulicher Kohlenhydrate zu kurzkettigen Fettsäuren (v.a. Acetat, Propionat, Butyrat), die als Energiequelle für Kolonozyten dienen.
- Vitaminbiosynthese: Produktion von Vitamin K und verschiedenen B-Vitaminen.
- Kolonisationsresistenz: Verdrängung pathogener Keime durch Konkurrenz um Nährstoffe und Adhäsionsstellen sowie durch Bildung antimikrobieller Substanzen.
- Immunmodulation: Prägung des intestinalen Immunsystems, Förderung der oralen Toleranz.
- Barrierefunktion: Unterstützung der Integrität der intestinalen Schleimhaut.
- Systemische Effekte: Einfluss auf Gehirn, Leber, Stoffwechsel und Psyche über die Darm-Hirn-Achse.
Pathophysiologie
Dysbiose
Unter dem Begriff Dysbiose versteht man ein Ungleichgewicht der mikrobiellen Zusammensetzung (z.B. im Darm). Auslöser können sein:
- Antibiotika
- Mangelernährung
- chronischer Stress
- Erkrankungen wie Reizdarm oder CED
- Immunsuppression
Dysbiosen gehen mit einer reduzierten Diversität, Überwucherung potentiell pathogener Keime und einem Rückgang nützlicher Bakterien einher.
Translokation und Inflammation
Eine gestörte Darmflora kann die epitheliale Barriere schädigen, die Durchlässigkeit der Mukosa erhöhen ("leaky gut") und somit eine Translokation bakterieller Antigene oder ganzer Keime in die Blutbahn oder extraintestinale Gewebe begünstigen. Mögliche Folgen sind systemische Entzündungen, metabolisches Syndrom, Lebererkrankungen oder sogar Sepsis bei immunsupprimierten Patienten.
Diagnostik
Diagnostisch ist das Darmmikrobiom eine Domäne der Mikrobiologie und Labormedizin. Gängige Untersuchungsmethoden sind:
- Stuhlanalyse: mikrobielle Diversität, gezielte Keimsuche (z.B. Clostridioides difficile)
- Metagenomanalyse: Next-Generation-Sequencing zur Charakterisierung des Mikrobioms
- Marker für intestinale Barrierefunktion: z.B. Zonulin, Calprotectin
Therapieansätze
Bei vorliegender Dysbiose können verschiedene Therapieansätze angewandt werden. Ziel ist die Wiederherstellung der physiologischen Darmflora.
- Probiotika: z.B. Lactobacillus, Bifidobacterium zur Wiederherstellung der Flora
- Präbiotika: z.B. Inulin, Oligofruktose als Nährstoffquelle für gesundheitsfördernde Keime
- Synbiotika: Kombination aus Pro- und Präbiotika
- Fäkale Mikrobiota-Transplantation (FMT): bei rezidivierender Clostridium difficile-Infektion
- Diätetische Interventionen: z.B. fermentierte Lebensmittel, ballaststoffreiche Ernährung
Forschung
Das intestinale Mikrobiom steht im Zentrum intensiver Forschung. Es bestehen Korrelationen zu:
- Adipositas
- Typ-2-Diabetes
- chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen
- kardiovaskulären Erkrankungen
- neurologischen Erkrankungen (Parkinson, Alzheimer)
- psychiatrischen Störungen (Depression, Autismus)
Ziel ist es, Mikrobiomprofile als diagnostische Marker oder therapeutische Zielstrukturen in der individualisierten Medizin zu etablieren.
Literatur
- Human Microbiome Project Consortium, Structure, function and diversity of the healthy human microbiome, Nature, 2012
- Clapp et al., Gut microbiota's effect on mental health: The gut-brain axis, Clin Pract, 2017