Affektdifferenzierung
Synonyme: emotionale Differenzierung, differenzierte Affektwahrnehmung, emotionale Ausdrucksfähigkeit, Gefühlsbenennungsfähigkeit
Englisch: affect differentiation, emotional granularity, emotional awareness
Definition
Affektdifferenzierung beschreibt die Fähigkeit, eigene emotionale Zustände differenziert wahrzunehmen, voneinander abzugrenzen, sprachlich auszudrücken und mit inneren oder äußeren Auslösern in Verbindung zu bringen. Sie ist eine Grundvoraussetzung für gelingende Affektregulation und eine kohärente Selbstwahrnehmung.
Grundlagen
Eine gut entwickelte Affektdifferenzierung erlaubt es dem Individuum, Emotionen bewusst zu erleben und adäquat zu reflektieren. Dies unterstützt die Orientierung in sozialen Interaktionen, fördert die Empathie sowie die Regulation von Impulsen und Affekten. Ihre Entwicklung hängt stark von frühen Bindungs- und Beziehungserfahrungen sowie sprachlicher Förderung ab.
Konzeptuelle Verortung
Obwohl der Begriff in der psychodynamischen Theorie (z.B. OPD, Strukturdiagnostik) verankert ist, finden sich verwandte Konzepte auch in anderen Fachdisziplinen:
- In der Alexithymie-Forschung wird mit Instrumenten wie der TAS-20 das Fehlen emotionaler Differenzierungsfähigkeit erfasst.
- Die Emotionspsychologie beschreibt das Konzept der „emotionalen Granularität“, das sich auf die Fähigkeit bezieht, zwischen verschiedenen Affekten zu unterscheiden.
- In verhaltenstherapeutischen Ansätzen wie der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) wird die Förderung affektiver Selbstwahrnehmung systematisch eingeübt (z.B. über Emotionsprotokolle).
Klinische Relevanz
Ein Mangel an Affektdifferenzierung zeigt sich häufig bei:
- Alexithymie
- Dissoziativen und somatoformen Störungen
- strukturellen Ich-Störungen
- Traumafolgestörungen
Typisch ist ein diffuses, körperlich erlebtes Erregungsniveau ohne klare emotionale Qualität, häufig begleitet von externalisierendem Verhalten oder psychosomatischer Symptomatik.
Diagnostik und Therapie
In der OPD-2 wird Affektdifferenzierung dem Funktionsbereich „Selbstwahrnehmung“ zugeordnet. Therapeutische Ziele sind u.a. die Förderung emotionaler Sprache, die Verknüpfung von Affekt und Kognition sowie die Erweiterung des affektiven Vokabulars.
Literatur
- OPD-2 Arbeitskreis (2006). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2: Manual zur Diagnostik und Therapieplanung. Huber.
- Wölle und Kruse. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Theorie und Praxis. Schattauer. 2010
- Barrett et al. Knowing what you’re feeling and knowing what to do about it: Mapping the relation between emotion differentiation and emotion regulation. Cognition and Emotion, 15(6), 713–724. 2010
- Taylor et al. Disorders of affect regulation: Alexithymia in medical and psychiatric illness. Cambridge University Press. 1997