Patellafraktur
Englisch: patella fracture
Definition
Unter einer Patellafraktur versteht man einen Knochenbruch (Fraktur) im Bereich der Kniescheibe (Patella).
Epidemiologie
Patellafrakturen machen etwa 1 % aller Frakturen aus. Die Patienten sind meist zwischen 20 und 50 Jahre alt.
Einteilung
Je nach Morphologie unterscheidet man zwischen:
- Querfraktur (50 bis 60 %): In 80 % im mittleren oder unteren Drittel
- (Sternförmige) Trümmerfraktur (30 bis 35 %)
- Längsfraktur (12 bis 17 %): stets an der lateralen Facette
- Avulsionsfraktur: beispielsweise mit Abriss der Quadrizepssehne, Patellarsehne oder der Ansätze des Retinaculum patellae
Sonderformen sind:
- osteochondrale Läsion
- Patella-Sleeve-Fraktur bei Kindern: Häufigste Patellfraktur bei unter 16-Jährigen. Dabei handelt es sich um einen chondralen oder osteochondralen Abriss des inferioren oder seltener des superioren Pols. Dabei ist das Avulsionsfragment mit dem noch nicht verknöcherten Knorpel oder Teilen der Gelenkfläche verbunden und reißt diese mit.
Ätiopathogenese
Am häufigsten wird die Patellafraktur durch eine direkte Krafteinwirkung, meistens im Rahmen eines Anpralltraumas (sog. "dashboard injury"), hervorgerufen. Dabei entstehen meist Längs- und Trümmerfrakturen mit deutlicherem Knorpelschaden.
Auch indirekte Krafteinwirkungen können zu einer Patellafraktur führen, beispielsweise bei forcierter Kontraktion des Musculus quadriceps femoris bei gebeugtem Kniegelenk. Dabei entstehen meist Querfrakturen. Auch eine Patella-Sleeve-Fraktur entsteht durch indirekte Krafteinwirkungen. Bei Ruptur des Retinaculum patellae kommt es zur Diastase der Fragmente.
Häufig findet sich eine Kombination aus direktem Trauma und forcierter Muskelkontraktion.
Nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands (ACLR) treten Patellafrakturen in 1 % der Fälle auf. Das eingesetzte Bone-Patella-Tendon-Bone-(BPTB-)Autograft kann die Patella schwächen. Typischerweise kommt es nach 8 bis 10 Wochen zu einer Querfraktur, teilweise auch in Verbindung mit einem direkten oder indirekten Trauma.
Des Weiteren treten Patellafrakturen bei 1 % der Patienten nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese auf, am häufigsten Querfrakturen.
Pathologische Frakturen der Patella kommen selten vor.
Begleitverletzungen
Bei direkter Krafteinwirkungen kann es zu chondralen oder osteochondralen Frakturen der Trochleagrube, ggf. mit freien Gelenkkörper kommen. Indirekte Traumata sind mit einer Ruptur der Quadrizeps- oder Patellarsehne assoziiert. Weiterhin kommen transiente Patellaluxationen vor:
- Zerrung oder Ruptur des medialen Retinaculum oder medialen patellofemoralen Ligaments (mPFL).
- Gelenkerguss
- Knochenmarködem subkortikal an der lateralen Femurkondyle oder inferomedialen Patella.
Klinik
Die betroffenen Patienten geben einen starken Druck- und Bewegungsschmerz über der Kniescheibe an. Gehen ist in der Regel aufgrund der Schmerzen nicht mehr möglich. Im Kniegelenk kann keine Extension mehr durchgeführt werden.
Häufig kommt es zur Ausbildung eines Gelenkergusses. Bei direktem Trauma ist die Haut über der Patella aufgeschürft. Teilweise können die Frakturränder palpiert werden.
Diagnostik
Im Rahmen der klinischen Untersuchung kann bereits der Verdacht auf eine Patellafraktur geäußert werden. Die Diagnose wird in der Regel anhand von Röntgenbildern gesichert, insbesondere in der lateralen Projektion. Längsfrakturen und osteochondrale Frakturen können in der axialen Projektion erkannt werden. Zur Beurteilung von osteochondralen Verletzungen, Sehnen- und Bandverletzungen sowie bei Patella-Sleeve-Fraktur kommt die Magnetresonanztomographie (MRT) zum Einsatz. Bei Trümmerfrakturen kann eine Computertomographie (CT) angefertigt werden.
Konventionelles Röntgen
Insbesondere in der lateralen Röntgenaufnahme sind Quer- und Trümmerfrakturen sowie kleine Avulsionsfragmente erkennbar. Eine Patella alta (Insall-Salvati-Index < 0,8) ist hinweisend auf eine Patellarsehnenruptur und ggf. eine Avulsion der inferioren Patella oder eine Patella-Sleeve-Fraktur. Eine Patella baja (Insall-Salvati-Index > 0,8) weist auf eine Quadrizepssehnenruptur und ggf. eine kleine Avulsionsfraktur der superioren Patella hin. Die Sehnenretraktion sowie das Ödem imponieren als Weichgewebsvermehrung. Auch ein Gelenkerguss kann auffallen.
In der a.p.- und axialen Projektion sind Längsfrakturen sowie dislozierte Frakturfragmente erkennbar. Die axiale Projektionsaufnahme wird auch als Sunrise-, Laurin-View oder Settegast-Projektion bezeichnet.
Typisch für eine osteochondrale Läsion aufgrund einer transienten Patellaluxation ist eine Impaktionsfraktur der medialen Gelenkfacette mit disloziertem Knochenfragment.
Computertomographie
Die Computertomographie ist sensitiver für kleine Avulsionsfragmente. Weiterhin kann der Versatz der Gelenkfläche sowie das patellofemorale Alignment beurteilt werden. Neben intraartikulären Knochenfragmenten sind auch assoziierte Femur- oder Tibiafrakturen darstellbar.
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie ist die Frakturlinie als hypointenses Signal in T1w- und T2w-Sequenzen erkennbar. Umgebend findet sich ein T1w-hypointenses, T2w-hyperintenses Knochenmarködem. Der Gelenkknorpel ist unterbrochen und ein Gelenkerguss ist darstellbar. Weitere mögliche Befunde in der MRT sind:
- Zerrung des medialen oder lateralen Retinaculum bzw. des medialen patellofemoralen Ligaments
- erhöhtes T2w-Signal bzw. Laxizität oder Diskontinuität der Patellar- oder Quadrizepssehne
Zeichen einer osteochondralen Fraktur sind:
- Hinweise einer transienten lateralen Patellaluxation:
- T2w-hyperintense Knochenkontusionen der medialen Patella oder der lateralen Femurkondyle
- T2w-hyperintenser Riss oder Diskontinuität des medialen Retinaculums, des mPFL und des Musculus vastus medialis obliquus
- in allen Sequenzen signalarmes Fragment im Gelenkspalt oder neben der Patella
- konkave Deformität der inferomedialen Patella
Bei einer Patella-Sleeve-Fraktur zeigt sich eine Separation durch den verknöchernden Knorpel, der die Patella und die Sehne verbindet. Der posteriore Gelenkknorpel (Sleeve) folgt dem polaren Fragment und trennt sich von der Patella. Im Gelenkspalt oder neben der Patella zeige sich signalarme Knorpel- und Knochenfragmente. Bei einem großen Knorpelfragment kommt bis zum 8. Lebensjahr eine Operation infrage.
Ultraschall
Die Sonographie kommt insbesondere zur Diagnostik von Patella-Sleeve-Frakturen sowie zur Beurteilung der Größe von Knorpelfragmenten zum Einsatz.
Differenzialdiagnose
Eine Ruptur der Patellarsehne oder der Quadrizepssehne kann ebenfalls zu einem Ausfall der Streckung im Kniegelenk führen und sollte differenzialdiagnostisch bedacht werden.
Radiologisch sollte an eine Patella bipartita gedacht werden, eine bei 2 bis 8 % der Bevölkerung vorkommende anatomische Normvariante. Das zweite Knochenfragment liegt superolateral und ist im Gegensatz zur Patellafraktur durch einen abgerundeten und nicht durch einen scharfkantigen Spalt von der Patella abgetrennt. Der angrenzende Gelenkknorpel ist intakt. Es zeigt sich kein Knochenmarködem.
Weitere radiologische Differenzialdiagnosen sind:
- dorsaler Patelladefekt: Ossärer, mit Gelenkknorpel bedekter Defekt in der superolateralen posterioren Patella. Meist asymptomatische Entwicklungsvariante. Kein Nachweis einer Frakturlinie.
- Chondromalacia patellae: keine Frakturlinie
- Sinding-Larsen-Johansson-Syndrom: variable Signalveränderungen, ggf. mit Fragmentation der inferioren Patellakante.
- unzureichende Fettsuppression: in axialen oder seltener sagittalen PDw- oder T2w-FS-Sequenzen kann ein Knochenmarködem vorgetäuscht werden, das kein Korrelat in anderen Sequenzen aufweist.
Therapie
Operative Therapie
Die Patellafraktur wird in der Regel operativ behandelt. Indikationen sind:
- Separation der Frakturfragmente > 3 mm
- Stufenbildung in der Gelenkfläche > 2 mm
- gestörte Extension
- offene Fraktur
Zum Einsatz kommen verschiedene Verfahren, teils auch in Kombination:
- Zuggurtungsosteosynthese: zwei axiale Kirschner-Drähte plus ventraler Zuggurtungsdraht in 8-er Tour verspannt, evtl. mit zirkulärer Cerclage.
- Schraubenosteosynthese
- patellotibiale Faden- oder Drahtcerclagen bei Polabrissen oder ligamentären Begleitverletzungen
- Anteriore Plattenosteosynthese
- Winkelstabile Flachprofilplatten
- formbare Gitterplatten mit teilweiser Winkelstabilität
Seltene alternative Verfahren sind beispielsweise eine totale oder partielle Patellektomie. Eine postoperative Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin ist obligat. Nach der Operation werden zunächst Bewegungsübungen auf einer Motorschiene durchgeführt. Es folgen eine Teil- und später auch die Vollbelastung des Beines.
Konservative Therapie
Selten wird eine konservative Therapie durchgeführt. Indikationen sind beispielsweise:
- erhaltene aktive Streck-Hebefähigkeit (nicht gegen Widerstand)
- Unverschobene Längs-, Stern- oder Querfrakturen (keine Dislokation bei 40° Beugung)
- Stressfrakturen
- traumatische Separation bei Patella bipartita
Dabei werden Gipsverbände und Schienen für 4 bis 6 Wochen eingesetzt.
Prognose
In den meisten Fällen ist die Patellafraktur nach acht Wochen ausgeheilt. Als Folge der Fraktur wird häufig eine Retropatellararthrose beobachtet. Bis zu 50 % der Patienten geben persistierende Schmerzen an. Weitere mögliche Folgen sind eine Pseudarthrose, sowie Defizite in der Flexion und der Extension.
Literatur
- Jarraya M et al. Imaging of patellar fractures. Insights Imaging. 2017;8(1):49-57
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