Hirnnerven
Synonym: Nervi craniales
Englisch: cranial nerves
Definition
Als Hirnnerven bezeichnet man Nerven, deren Fasern direkt aus dem Gehirn hervorgehen bzw. in das Gehirn einstrahlen. Dadurch unterscheiden sie sich von den Spinalnerven, die aus dem Rückenmark entspringen. Die meisten Hirnnerven stehen mit spezialisierten Nervenzellansammlungen des Hirnstamms in Verbindung, den Hirnnervenkernen. Hirnnerven besitzen immer mindestens eine Durchtrittstelle innerhalb der knöchernen Struktur des Schädels.
Faserqualitäten
Die Hälfte der Hirnnerven sind gemischte Nerven, die verschiedene Faserqualitäten führen. Das bedeutet, dass ein Nerv zum Beispiel gleichzeitig für die Steuerung von Muskeln und die Weiterleitung von Empfindungen verantwortlich sein kann. Die andere Hälfte führt nur eine Faserqualität. Man unterscheidet:
Efferente Fasern
- somatomotorische Fasern (GSE, general somatic efferent)
- allgemein-viszeromotorische Fasern (GVE, general visceral efferent, parasympathisch)
- speziell-viszeromotorische Fasern (SVE, special visceral efferent, branchiomotorisch)
Afferente Fasern
- allgemein-somatosensible Fasern (GSA, general somatic afferent)
- speziell-somatosensible Fasern (SSA, special somatic afferent, sensorisch)
- allgemein-viszerosensible Fasern (GVA, general visceral afferent)
- speziell-viszerosensible Fasern (SVA, special visceral afferent, sensorisch)
Vereinfacht gesprochen bedeutet "allgemein", dass die Faserqualitäten den Verhältnissen im übrigen peripheren Nervensystems entsprechen, während "speziell" Faserqualitäten beschreibt, die nur bei den Hirnnerven vorkommen (sensorische Wahrnehmungen, Versorgung der Kiemenbogenmuskulatur).
Systematik
Die 12 Hirnnerven werden mit römischen Ziffern in der Reihenfolge ihres Austritts aus dem Gehirn von rostral nach kaudal nummeriert. Die Klassifikation wurde 1788 von Samuel Thomas von Soemmerring eingeführt.
Als 1. Hirnnerv werden überwiegend die Fila olfactoria, die in den Bulbus olfactorius einstrahlen, angesehen. Abweichend davon wird auch das beim Menschen rudimentär vorhandene Jacobson'sche Organ als 1. Hirnnerv bezeichnet. Der 2. Hirnnerv ist der Nervus opticus.
Heute besteht darüber Einigkeit, dass der 1. und der 2. Hirnnerv vorgelagerte Teile des Gehirns sind. Daher sind sie nicht als Nerven im eigentlichen Sinne anzusehen, werden aber nach wie vor so bezeichnet.
Ein weitere Sonderstellung unter den Hirnnerven hat der Nervus accessorius (XI), weil ein Teil seiner Fasern (Ramus externus) aus dem Rückenmark stammt.
Nervus | Bezeichnung | Funktion | Faserqualitäten |
---|---|---|---|
I | Nervus olfactorius (Riechnerv) | Leitet Signale von der Nase zum Gehirn | SVA (sensorisch) |
II | Nervus opticus (Sehnerv) | Leitet die Signale der Netzhaut zum Gehirn | SSA (sensorisch) |
III | Nervus oculomotorius | Steuert Augenbewegungen, den Lidheber sowie die Regenbogenhaut (Iris) | GSE, GVE |
IV | Nervus trochlearis | Steuert den schrägen oberen Augenmuskel | GSE |
V * | Nervus trigeminus | Untergliedert sich in den Nervus ophthalmicus, den Nervus maxillaris und den Nervus mandibularis. Er leitet sensible Informationen aus dem ganzen Gesichtsbereich zum Gehirn und innerviert die Kaumuskulatur. | GSA, SVE |
VI | Nervus abducens | Innerviert den lateralen Augenmuskel | GSE |
VII * | Nervus facialis (Gesichtsnerv) | Steuert die Muskulatur der Mimik und Musculus stapedius, vermittelt auch die Geschmackswahrnehmung in den vorderen zwei Dritteln der Zunge, innerviert alle Kopfdrüsen außer der Ohrspeicheldrüse | SVE, GVE, GSA, SVA (sensorisch) |
VIII | Nervus vestibulocochlearis (Hörnerv) | Zuständig für die Weiterleitung der Informationen von der Hörschnecke und vom Gleichgewichtsorgan | SSA (sensorisch) |
IX * | Nervus glossopharyngeus | Leitet die Signale des hinteren Zungenabschnittes zum Gehirn und innerviert die Muskeln des Rachens. Wichtig für den Schluckakt. Innerviert auch die Ohrspeicheldrüse. | GSA, GVE, SVE, GVA, SVA (sensorisch) |
X * | Nervus vagus | Hauptnerv des Parasympathikus und an der Regulation der Tätigkeit vieler innerer Organe beteiligt | GSA, GVE, SVE, GVA, SVA (sensorisch) |
XI (*) | Nervus accessorius | Versorgt motorisch den Musculus trapezius und den Musculus sternocleidomastoideus. | GSE, (SVE) |
XII | Nervus hypoglossus | Steuert die Zungenbewegung | GSE |
*) embryologisch: Kiemenbogennerven |
Die Hirnnerven V, VII, IX und X klassifiziert man aufgrund ihrer embryonalen Entwicklungsgeschichte auch als Kiemenbogennerven. Ihre motorischen Faserqualitäten werden als speziell-viszeromotorisch bzw. branchiomotorisch bezeichnet. Sie versorgen Muskeln, die sich aus Muskelanlagen der Kiemenbögen entwickelt haben.
In einigen Lehrbüchern wird auch der Nervus XI (Nervus accessorius) zu den Kiemenbogennerven gerechnet. Das trifft aber nur für seinen kranialen Teil ("Ramus internus") zu, der eine Fortsetzung des Nervus vagus (Nervus X) darstellt.
Zum 7. Hirnnerven: Auch seine Systematik ist nicht einheitlich. Zuweilen wird nämlich ein Teil des 7. Hirnnerven, der Nervus intermedius, als "13. Hirnnerv" bezeichnet. Diese Auffassung ist für das Verständnis der Funktion des Parasympathikus im Kopfbereich nützlich.
Neben den o.a. 12 Hirnnerven kann auch der erst 1913 entdeckte Nervus terminalis als "nullter Hirnnerv" (Nervus 0) zu den Hirnnerven gerechnet werden.
Verlauf
Alle Hirnnerven sind paarig angelegt. Nach ihrem Austritt aus der Nervenzellmasse des Gehirns verlaufen die Fasern der Hirnnerven zunächst intrakraniell und treten dann über unterschiedlich dimensionierte Kanäle (Foramina, Fissuren) aus dem Schädel aus. Danach beginnt ihr extrakranieller Abschnitt.
Nerv | Passage |
---|---|
Nervus olfactorius (I) | Lamina cribrosa |
Nervus opticus (II) | Canalis opticus |
Nervus oculomotorius (III), Nervus trochlearis (IV), Nervus ophthalmicus (V1), Nervus abducens (VI) | Fissura orbitalis superior |
Nervus maxillaris (V2) | Foramen rotundum |
Nervus mandibularis (V3) | Foramen ovale |
Nervus facialis (VII) | Canalis nervi facialis |
Nervus vestibulocochlearis (VIII) | Meatus acusticus internus |
Nervus glossopharyngeus (IX), Nervus vagus (X), Nervus accessorius (XI) | Foramen jugulare |
Nervus hypoglossus (XII) | Canalis nervi hypoglossi |
Tabelle: Durchtrittsstellen der Hirnnerven im Schädel
Ganglien
Hirnnerven im engeren Sinn mit afferenten Anteilen (V, VII, VIII, IX, X) führen sensible bzw. sensorische Fasern, deren Zellkörper in Nervenzellansammlungen (Ganglien) außerhalb des Gehirns liegen. Diese Hirnnervenganglien (Ganglia nervorum cranialum) entsprechen den Spinalganglien der Spinalnerven. Dazu zählen:
- Ganglion trigeminale (Nervus trigeminus)
- Ganglion geniculatum (Nervus facialis)
- Ganglion cochleare (Nervus vestibulocochlearis)
- Ganglion vestibulare (Nervus vestibulocochlearis)
- Ganglion superius nervi vagi (Nervus vagus)
- Ganglion inferius nervi vagi (Nervus vagus)
- Ganglion superius nervi glossopharyngei (Nervus glossopharyngeus)
- Ganglion inferius nervi glossopharyngei (Nervus glossopharyngeus)
Ferner führen einige Hirnnerven Fasern von Nervenzellen aus den parasympathischen Kopfganglien:
- Ganglion ciliare (Nervus oculomotorius)
- Ganglion pterygopalatinum (Nervus maxillaris)
- Ganglion oticum (Nervus glossopharyngeus)
- Ganglion submandibulare (Nervus lingualis)
Präparate
Hirnstamm mit Hirnnerven
Schädelbasis mit Hirnnerven
Klinik
Den Ausfall eines Hirnnerven bezeichnet man als Hirnnervenparese. Ursache dafür sind Läsionen, z.B. durch Traumata, Infektionen, Tumoren oder Ischämien. Die Läsion kann zentral, d.h. im Hirnnervenkern, oder peripher, d.h. im Verlauf des Nerven, lokalisiert sein. Beispiele sind die Fazialisparese und die Okulomotoriusparese.
Von den sensiblen Hirnnerven können Schmerzsyndrome ausgehen, deren prominentester Vertreter die Trigeminusneuralgie ist. Weitere Formen sind die Glossopharyngeusneuralgie und die Intermediusneuralgie.
Podcast
Merkhilfen
Eselsbrücken für die 12 Hirnnerven:
- "Ohne Onkel Oswald tanzen tausend Anatomen für viele gute Venen am Himalaya."
- "Oma oben ohne tanzt tropfnass, aber froh, vor Grossvater Alberts Haus."
- "Onkel Otto onaniert Tag täglich, aber freitags vernascht er gerne viele alte Hausfrauen."
Eselsbrücke für die 12 Faserqualitäten der Hirnnerven (s=sensibel; m=motorisch; b=beides):
- "Some say money matters but my brother says big boobs matter more"
- "Some students make money but my brother says Boris Becker makes more"
Quellen
- 3D-Modell: Dr. Claudia Krebs (Faculty Lead) University of British Columbia
Bildquelle
- Bildquelle Podcast: ©Attentie Attentie / Unsplash