Trauma bonding
von englisch: trauma – Wunde, Verletzung; bond – Bindung
Synonym: Traumabindung
Definition
Trauma bonding, deutsch "traumatische Bindung", bezeichnet eine dysfunktionale emotionale Bindung zwischen Opfer und Täter bei Gewalt oder Misshandlung.
Terminologie
Der Begriff des "trauma bonding" ist terminologisch nicht klar abgegrenzt. Es bestehen Überlappungen mit dem Stockholm‑Syndrom. Teils wird "Appeasement" als präzisere, nicht-romantisierende Beschreibung akuter Bewältigungsreaktionen vorgeschlagen.[1]
Entstehung und Mechanismen
Kennzeichnend sind Machtgefälle, Unvorhersagbarkeit und intermittierende Verstärkung, die trotz Schädigung den Aufbau von Bindung fördern und emotionale Distanz erschweren.
Viele Beschreibungen skizzieren Phasen mit anfänglicher Idealisierung ("Love Bombing"), darauf folgender Abwertung, Gaslighting, episodischer Reue oder Zuwendung und erneuter Gewalt, wodurch die Annäherung konditioniert wird.[2] Unsichere Bindungsmuster sowie Koinzidenz von Bedrohung und vermeintlicher "Trostquelle" beim selben Akteur begünstigen die Ausbildung der traumatischen Bindung.[3]
Risikofaktoren
Verschiedene Risikofaktoren werden beschrieben:[3]
- Unsichere Bindung
- Frühe Misshandlungserfahrungen
- Ökonomische und/oder soziale Abhängigkeiten
- Ausgeprägte Machtasymmetrien in Beziehungen oder geschlossenen Systemen (z. B. Sektenstrukturen, kultische Gruppen, Menschenhandel)
Studien weisen darauf hin, dass bei Betroffenen von Kindesmisshandlung oder Bindungsunsicherheit das Risiko für traumatische Bindungen und Traumafolgestörungen (z.B. PTSD) erhöht ist.[3]
Klinik
Typisch sind Ambivalenz, Schuld- und Schamgefühle, kognitive Rationalisierung des Täterverhaltens und Persistenz der Beziehung trotz objektiver Gefährdung.[4] Langzeitfolgen können negative Selbstkonzepte, affektive Störungen und Traumafolgestörungen umfassen.[1]
Übersichtsarbeiten beschreiben häufig das gleichzeitige Auftreten von PTSD‑Symptomen und traumatischer Bindung in Gewaltbeziehungen.[5]
Diagnostik
Im Vordergrund steht die Exploration von Gewalterfahrungen, Machtgefälle, intermittierender Zuwendung sowie Art der Bindung von Opfer und Täter in der Anamnese. Ergänzend erfolgt ein Screening auf Traumafolgestörungen und häufige Komorbiditäten.[4] Klinisch relevant sind Sicherheitsrisiken und Funktionsbeeinträchtigungen.[6]
Differenzialdiagnosen
Abzugrenzen sind:
- adaptive Unterwerfungs- und Deeskalationsreaktionen ohne positive Valenz gegenüber dem Täter
- abhängige Beziehungsdynamiken ohne Gewaltkomponente
- unspezifische Loyalitätseffekte in anhaltenden Belastungssituationen.[1]
Therapie und Management
Therapeutische Interventionen beinhalten:[7]
- Sicherheitsplanung und Schutz vor weiterer Gewalt
- Aktivierung sozialer Unterstützungssysteme
- Psychoedukation über Gewaltzyklen und Bindungsdynamiken.
Nach initialer Stabilisierung werden traumafokussierte Verfahren empfohlen (z. B. kognitive Umstrukturierung, Expositionsverfahren) sowie die Bearbeitung maladaptiver Bindungsmuster. Auch Rückkehr- und Ambivalenztendenzen sind Ziel von therapeutischen Interventionen.[4]
Weblinks
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Bailey R et al.: Appeasement: replacing Stockholm syndrome as a scientific term 2023
- ↑ PsychCentral.: 7 Stages of Trauma Bonding and How to Break the Cycle 2024
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Shaughnessy EV.: Risk Factors for Traumatic Bonding and PTSD 2022
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Medical News Today.: Trauma bonding: Definition, examples, signs, and recovery 2023
- ↑ Pander A et al.: CONTEMPORARY REVIEW OF EMPIRICAL AND … Abruf
- ↑ Palmer M.: A latent profile analysis expanding traumatic bonding theory 2024
- ↑ HelpGuide.: Understanding Trauma Bonding 2025