Ballonieren der Vorhaut
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Synonyme: Ballonartiges Aufblähen der Vorhaut, Ballonierung der Vorhaut
Englisch: balloning of the foreskin
Definition
Das Ballonieren der Vorhaut ist ein bei Jungen häufig auftretendes, physiologisches Phänomen, bei dem sich die Vorhaut beim Urinieren ballonartig aufbläht.
Hintergrund
Bei der Geburt ist die Vorhaut bei fast allen Jungen noch nicht zurückziehbar. Die Vorhaut ist mit der Eichel noch fest verklebt (etwa so, wie Fingernägel mit dem Nagelbett). Außerdem ist die Vorhautöffnung noch zu eng bzw. zu wenig dehnbar, um die Vorhaut über die Eichel zu bewegen. Diese fehlende Zurückziehbarkeit der Vorhaut wird auch als physiologische Phimose bezeichnet. Sie ist kein Fehler der Natur, sondern ein natürlicher und sinnvoller Zustand, der dazu dient, die hochsensible Eichel sowie die Harnröhrenöffnung vor den Ausscheidungen in der Windel, Umwelteinflüssen und Verletzungen zu schützen.
In einem individuell unterschiedlichen Zeitraum zwischen der Geburt und dem Ende der Pubertät, löst sich die Verbindung von Vorhaut und Eichel durch natürliche Prozesse von selbst und auch die Vorhautöffnung weitet sich, sodass die Vorhaut allmählich zurückziehbar wird.
Die Verklebung zwischen Vorhaut und Eichel löst sich in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen. Manchmal ist die Vorhaut zuerst vorne ein Stück zurückziehbar, manchmal auch nur auf einer Seite oder nur auf der Oberseite der Eichel. Auch erfolgen die Weitung der Vorhautöffnung und die Lösung der Verklebung nicht immer zur gleichen Zeit oder mit dem gleichen Tempo.
Wenn sich die Vorhaut bereits von der Eichel zu lösen beginnt, die Vorhautöffnung aber immer noch eng ist, kann der Urin die neu entstandenen Räume zwischen Vorhaut und Eichel auffüllen, sodass sich die Vorhaut ballonartig aufbläht.
Das Ballonieren der Vorhaut ist ein natürliches, physiologisches Phänomen und erfordert keine Behandlung. Es ist ein Hinweis darauf, dass die normale Entwicklung der Vorhaut bereits eingesetzt hat, aber noch nicht abgeschlossen ist. Das Ballonieren verschwindet auf natürlichem Wege von selbst wieder, während die Vorhaut ihre Entwicklung fortsetzt und die Vorhautöffnung sich weitet.
Einfluss auf die Blasenentleerung
Von einigen Autoren wird das Ballonieren der Vorhaut als pathologisches Phänomen dargestellt und – ohne medizinwissenschaftliche Belege – als Hinweis auf eine Blasenentleerungsstörung gewertet. Teilweise wird es als Indikation für eine Zirkumzision gedeutet. Aufgrund der neueren medizinischen Fachliteratur ist diese Sichtweise jedoch nicht haltbar:
In der internationalen medizinischen Fachliteratur wird das Ballonieren der Vorhaut inzwischen einheitlich als harmloses, vorübergehendes Phänomen in einem bestimmten Entwicklungsstadium angesehen.[1][2][3][4][5][6][7]
Forscher am Universitätskrankenhaus Cardiff in Großbritannien untersuchten in einer aufwändigen Studie das Ballonieren der Vorhaut auf mögliche Beeinträchtigungen der Blasenentleerung.[8] Die Forscher untersuchten die Blasenentleerung bei Jungen mit ballonierender Vorhaut und Jungen ohne ballonierende Vorhaut mittels zahlreicher Untersuchungsverfahren – einschließlich Uroflowmetrie, Sonografie, Restharnmessung und Messung der Blasenwanddicke.
Die Studie konnte keine mit dem Ballonieren einhergehende Beeinträchtigungen der Blasenentleerung feststellen.[8] Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Jungen mit ballonierender Vorhaut eine normale Blasenwanddicke, eine normale Harnstrahlkurve, eine normale Resturinmenge und einen normalen maximalen Harnfluss hatten. Es gab keine Anzeichen dafür, dass das Aufblähen der Vorhaut die Entleerung der Blase in irgendeiner Weise behinderte.
- „In der vorliegenden Studie zeigte die Uroflowmetrie bei Jungen mit physiologischer Phimose maximale Harnfluss vs Miktionsvolumen-Werte, die innerhalb der normalen Spannbreite der Altersgruppe lagen, und die maximalen Harnflusswerte unterschieden sich nicht erheblich zwischen Jungen mit und ohne ballonierender Vorhaut. Diese Daten zusammen mit den unerheblichen Restharnwerten weisen darauf hin, dass die Effizienz der Blasenentleerung bei beiden Gruppen normal ist. Eine weiteren Beleg für eine fehlende Blasenauslassobstruktion liefern die normalen Werte der Blasenwanddicke.
- Zusammengefasst ergab die nicht-invasive Untersuchung der Effizienz der Blasenentleerung mittels Uroflowmetrie, Restharnmessung und Messung des Blasenwanddicke bei Jungen mit physiologischer Phimose mit oder ohne ballonierender Vorhaut keine Hinweise für eine Beeinträchtigung der Blasenentleerung.“
- „Die meisten Kinderchirurgen und Urologen betrachten die physiologische Phimose und das damit einhergehende Ballonieren der Vorhaut als selbst-begrenzende Merkmale einer normalen Vorhautentwicklung, was durch Verlaufsstudien ohne Interventionen bestätigt wurde.“
Medizinische Stellungnahmen
Das Ballonieren der Vorhaut beim Wasserlassen wird inzwischen in der internationalen medizinischen Fachliteratur als harmloses, vorübergehendes Phänomen in einem bestimmten Entwicklungsstadium angesehen[1][2][3][4][5][6][7] Im folgenden sind einige Stellungnahmen zu diesem Phänomen von Ärzteverbänden und renommierten internationalen Ärzten wiedergegeben:
Die kanadischen Kinderurologen Thomas B. McGregor, John G. Pike, Michael P. Leonard beschreiben das Ballonieren der Vorhaut in ihrer Übersichtsarbeit als natürliches und harmloses Phänomen:[5]
- „Bei Kindern kann es infolge einer engen Vorhaut zu einer Ballonierung der Vorhaut kommen. Obwohl sie bei Eltern Besorgnis auslösen kann, ist sie ein vollkommen harmloser Prozess. Die Ballonierung verschwindet mit der Zeit, während die Vorhaut zurückziehbarer wird.“
Bereits Ende der 1990er beschrieb der britische Kinderurologe A. Rickwood in seinem viel-zitierten Artikel „Indications of Circumsion“, dass eine ballonierende Vorhaut als physiologisch und natürlich anzusehen ist:[1]
- „Im Säuglingsalter geht die nichtzurückziehbare Vorhaut häufig mit einem „Ballonieren“ der Vorhaut bei der Miktion einher, einem Phänomen, das Eltern typischerweise das erste Mal im Verlauf des Töpfchentrainings bemerken, obwohl es zweifellos schon lange Zeit zuvor aufgetreten ist. Es ist zeitlich begrenzt und verschwindet von selbst wieder, während die Vorhaut auf natürliche Weise zurückziehbarer wird. In Abwesenheit einer pathologischen Phimose ist die Ballonierung kein Hinweis auf eine Harnabflussbehinderung; bei den betroffenen Personen liegen die gemessenen Uroflow-Werte innerhalb des normalen Bereichs und eine Ultrasonographie zeigt keine Hydronephrose, keine Verdickung der Blasenwand und auch keinen Resturin.“
Die britischen Kinderchirurgen Claire Clark, James Huntley, Fraser Munro und Derrick Wilson-Storey beschreiben eine ballonierende Vorhaut als „Variante des Normalen“:[4]
- „Das „Ballonieren der Vorhaut“ (das Ansammeln von Urin unter der Vorhaut bei der Miktion) wird oft auf eine phimotische Vorhaut zurückgeführt. Wenn der Patient keine wiederholten Episoden von Entzündungen aufweist, ist die Ballonierung der Vorhaut als eine Variante des Normalen zu betrachten.“
Die Kinderurologen Padraig Malone und Henrik Steinbrecher kommen in ihrer im renommierten BMJ veröffentlichen Übersichtsarbeit zum selben Schluss:[6]
- „Vorhautverklebungen und Smegmaperlen, Ballonieren bei der Myktion und eine nichtzurückziehbare Vorhaut sind allesamt physiologisch und Eltern können beruhigt werden, ohne dass eine Notwendigkeit für eine Überweisung an einen Spezialisten bestehen würde.“
Die schwedischen Kinderchirurgen Said Zeiai, Nils Wåhlin und Magdalena Fossum vom Karolinska-Universitätskrankenhaus beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit, die in der Läkartidningen, dem wichtigsten schwedischen Medizinjournal, veröffentlicht wurde, das Ballonieren als physiologisches Phänomen, welches mit zunehmenden Alter von selbst verschwindet und keine Behandlung erfordert: [9]
- „Die Smegmaperle (Einschlusszyste) ist eine gelbliche Ausbuchtung unter der Vorhaut und wird oft mit einem Fettknoten oder einem beginnenden Malignom verwechselt. In Wirklichkeit besteht dieses Füllmaterial aus den Resten toter Epithelzellen und Drüsensekreten und ist absolut gutartig. Die Ballonierung bei der Miktion ist ebenfalls eine häufig vorkommende Beschwerde. Sie ist charakterisiert durch eine aufgeblähte Vorhaut bei der Miktion und ist normalerweise nicht mit Problemen verbunden. In beiden Fällen kommt es zu einer Besserung, wenn die Vorhaut mit den Jahren weiter wird, und daher sind keine Maßnahmen erforderlich.“
Der US-amerikanische Kinderärzteverband, die American Academy of Pediatrics (AAP), erklärt in ihrer im Jahr 2000 veröffentlichten „Richtlinie zur Pflege des Unbeschnittenen Penis“ (2000)ebenfalls, dass das Ballonieren der Vorhaut harmlos und normal ist:[10]
- „Was ist das Zurückziehen der Vorhaut?
- Die Retraktion der Vorhaut erfolgt, wenn die Vorhaut weg von der Eichel hin in Richtung des Unterbauchs gezogen werden kann. Dieser Prozess findet von ganz allein statt. Wann er stattfindet, ist bei jedem Kind unterschiedlich. Es kann wenige Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern. Die meisten Jungen werden ihre Vorhaut zurückziehen können, wenn sie 18 Jahre alt sind. Einige Vorhäute lassen sich schon früh nach der Geburt zurückziehen. Die Ablösung kann sogar vor der Geburt erfolgen, was aber selten ist. Wenn ein Junge sich seines Körper mehr bewusst wird, wird er sehr wahrscheinlich entdecken, wie er seine Vorhaut zurückziehen kann. Manchmal bläht sich die Vorhaut auf, ähnlich wie ein Ballon, während ein Junge uriniert. Das ist normal und ist ein Anzeichen dafür, dass Vorhaut und die Eichel begonnen haben, sich voneinander zu lösen.“
Der kanadische Urologenverband, die Canadian Urological Association (CUA), beschreibt in einer 2014 veröffentlichen Informationsbroschüre zur „Vorhautpflege für Jungen“ das Ballonieren der Vorhaut als harmlos und nichtbehandlungsbedürfrig:[11]
- „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Jungen mit unvollständig zurückziehbarer Vorhaut eine ballonierende Vorhaut beim Wasserlassen haben. Dies erfordert keine Behandlung, wenn das Kind ansonsten ohne Schwierigkeiten Wasser lässt.“
Im gleichen Sinn erklärt der kanadische Urologenverband in seiner im Jahr 2017 veröffentlichten Leitlinie zur „Pflege der normalen Vorhaut“:[12]
- „Das Ballonieren der Vorhaut bei der Miktion ist nicht mit einer Beinträchtigung der Blasenentleerung vergesellschaftet und ist somit keine Indikation zur Zirkumzision.“
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Rickwood AKM(1999)."Medical indications for circumcision.". BJU Int83(Suppl. 1): 45-51. PMID 10349414.
- ↑ 2,0 2,1 Cuckow PM, Nyirady P. Foreskin. In Gearhart JP, Rink RC, Mouriquand PDE eds. Pediatric Urology, 1st edn. Chapter 43, Philadelphia: WB Saunders 2001, 705– 12
- ↑ 3,0 3,1 Rickwood AMK. The prepuce. In: Thomas DFM, Rickwood AMK, Duffy PG, editors. Essentials of paediatric urology. London: Martin Dunitz, Ltd.; 2002. p. 181-8.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Clark C, Huntley JS, Munro FD, Wilson-Storey D.(2004)."Managing the paediatric foreskin". Practitioner248(1665): 888, 891-2, 894. PMID 15603229.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 McGregor TB, Pike JG, Leonard MP(2007)."Pathologic and physiologic phimosis: approach to the phimotic foreskin.". Can Fam Physician53(3): 445-8. PMID 10349414.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Malone P, Steinbrecher H.(2007)."Medical aspects of male circumcision.". BMJ335(7631): 1206-90. PMID 18063645.
- ↑ 7,0 7,1 Shahid SK(2012)."Phimosis in children". ISRN Urol. 2012(707329): 45-51. PMID 23002427.
- ↑ 8,0 8,1 Babu R, Harrison SK, Hutton KA(2004)."Ballooning of the foreskin and physiological phimosis: is there any objective evidence of obstructed voiding?". BJU Int.94(3): 384–7. doi:10.1111/j.1464-410X.2004.04935.x. PMID 15291873.
- ↑ Zeiai S, Wåhlin N, Fossum M(2013)."[Tight foreskin is usually a benign condition]". Lakartidningen110(11): 558-9.. PMID 23596848.
- ↑ Care of the Uncircumcised Penis. Elk Grove Village, IL: American Academy of Pediatrics, 2000.
- ↑ Foreskin Care for Boys. Dorval, Quebec: Canadian Urological Association, 2014.
- ↑ Dave S, Afshar K, Braga LH, Anderson P.(2017)."CUA guideline on the care of the normal foreskin and neonatal circumcision in Canadian infants.". Can Urol Assoc J.: Dec 1.[Epub ahead of print].
Hinweise
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Primärautor
Dieses FlexiEssay stammt von Marcus Azad.
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