Alfred C. Kinsey
Definition
Alfred Charles Kinsey war ein amerikanischer Sexualforscher. Er wurde am 23.06.1894 in New Jersey geboren und starb am 25.08.1956 in Bloomington, Indiana.
Vita
Kinsey studierte Biologie und wurde Professor für Zoologie an der Indiana University in Bloomington. Sein Schwerpunkt war ursprünglich die Entomologie (Insektenkunde). Er führte u.a. Studien über die amerikanische Gallwespe durch. Dafür untersuchte er zehntausende Exemplare und veröffentlichte die Ergebnisse in einem zweibändigen Werk.
Bekannt wurde Kinsey ab durch seine Untersuchungen zu menschlichen Sexualität. Es bestand in Amerika eine große Unsicherheit unter vielen Paaren, was richtig oder falsch auf diesem Gebiet ist. Kinsey wurde als Biologe gebeten, Eheberatungskurse für Studenten abzuhalten. Kinsey war dabei aufgefallen, dass es kaum gesicherte Daten zum sexuellen Verhalten des Menschen gab. In den folgenden Jahren beschäftige sich Kinsey verstärkt mit diesem Thema. Er entwickelte einen Fragebogen mit mehr als 500 Fragen. Diesen arbeitete er im Interview an fast 20.000 Amerikanern ab. Die meisten Interviews führte Kinsey selbst durch. Später kamen noch W.B. Pomeroy und C.E. Martin als selbständige Interviewer hinzu. Kinsey erhob Daten zu einem weitem Bereich der Sexualität. Sie umfassten Alter, Geschlecht, Rasse, soziale Schicht, geographische Herkunft, Familienstand, Bildungsgrad, sexuelle Erfahrungen und Vorlieben. Die Interviews dauerten zwischen 30 und 180 Minuten.
1948 erschien "Sexual Behavior in the Human Male" und 1953 "Sexual Behavior in the Human Female". Bald darauf erschienen die deutschen Übersetzungen. Kinsey hatte eine gewaltige Datenmenge erhoben und verarbeitet. Obwohl diese Bücher nicht leicht zu lesen waren und große Mengen an Statisitiken enthielten, wurden sie in der damaligen Zeit zum Bestseller. Es gab in der amerikanischen Bevölkerung aber auch weltweit ein großes Interesse an diesen Studien. Im Grunde genommen zeigten diese Studien, dass es ein breites Spektrum sexuellen Verhaltens beim Menschen gibt. Kinsey als Biologe vermied es aber von der Norm abweichendes Verhalten als krankhaft, kriminell oder moralisch verwerflich zu klassifizieren. Er zeigte auch, dass bestimmte Verhaltensweisen weit häufiger vorkommen, als damals vermutet wurde (z.B. vor- und außerehelicher Sex, Homosexualität etc). Die Vielfalt des sexuellen Verhaltens war aber schon vorher zumindest in bestimmten Gruppen (z.B. Ärzte, Psychologen, spezialisierte Juristen etc.) bekannt. Kenner der Materie wussten auch schon damals, dass zwischen der offiziellen Moral und dem realen Verhalten eine Kluft lag. Kinsey konnte darstellen, dass es in ganz Amerika eine große Breite des sexuellen Verhaltens gab. Außerdem konnte er zeigen, dass soziale Faktoren das Sexualverhalten wesentlich beeinflussen.
Wirkung
Die Wirkung der Werke Kinseys war bedeutend. Er selber schätze die Folgen seiner Werke eher gering ein. Die amerikanische Öffentlichkeit reagierte zwiespältig: von großer Begeisterung bis massiver Kritik. Die wissenschaftliche Aufnahme war ähnlich. Die Kritiker warfen ihm Fehler bei der Auswahl der Population und Durchführung der Studie vor. Vielleicht hätte Kinsey dem sogar teilweise zugestimmt. Kinseys eigentliches Ziel war ja ursprünglich eine größere Zahl von Menschen zu untersuchen (ca. 100.000). Aber es ist fraglich, ob sich daraus wesentliche neuere Ergebnisse ergeben hätten. Die Anzahl von Homosexuellen in der amerikanischen Bevölkerung wurde nach heutigem Kenntnistand in seiner Studie überschätzt.
Rückblickend auf die damalige Zeit waren die Werke von Kinsey von hohem wissenschaftlichen Wert. Mit einem Paukenschlag ging damals die wissenschaftliche Führung in der Sexualforschung von Europa auf die USA über. Bereits 1956 hob der "Spiegel" die Bedeutung der Werke Kinseys hervor. Niemand hat vor und nach Kinsey je eine so große Untersuchung mit so ausgefeilter Technik durchgeführt, insbesondere wenn man bedenkt, dass das standardisierte Interview immer noch als Goldstandard der wissenschaftlichen Datenerhebung gilt. Spätere Reports (z.B. Report von Simenauer Pietropinto , Hite-Report etc.) bedienten sich der einfachen Befragung mittels Fragebögen, die meist nur einen geringen Rücklauf hatten.
Kritik an Kinsey
Die Kritik an Kinsey kam vor allem von Seiten extrem konservativer und fundamentalistischer christlicher Kreise. Besonders nachdem sein zweites Buch über das sexuelle Verhalten der Frau erschien, wurde er unter Beschuss genommen. Man warf ihm die Untergrabung der Moral und kommunistische Neigungen vor. Die Kritiker störte mehr die breite Veröffentlichung des Werkes als dieses selbst. Die Rockefeller-Stiftung, die bisher sein Werk gefördert war, kündigte unter massiven Druck Kinsey die Zusammenarbeit auf.
Konservative Gruppierungen in den USA greifen Kinsey auch heute noch an. Es werden ihm selbst sexuelle "Perversionen" vorgeworfen, obwohl es dafür wenig Belege gibt. Kinsey war verheiratet, hatte 4 Kinder, und führte nach Ansicht von Beobachtern eher ein überwiegend "langweiliges" Gelehrtenleben, das weitgehend durch die Erhebung und Verarbeitung von Daten geprägt war.
Kinsey hat sich (wie bereits Freud) auch mit der kindlichen Sexualität befasst und Daten dazu erhoben. Als ernstzunehmender Kritikpunkt kann gelten, dass man daraus den Eindruck gewinnen kann, dass er die Pädophilie verharmlost habe. Immerhin hat er aber das Vorkommen der Pädophilie in den USA der 40er und 50 Jahren angesprochen.
Kinsey gilt als Vorbereiter der sogenannten sexuellen Revolution, die aber erst etwa 15 Jahre später eintrat. Seine Werke trafen auf ein aufnahmebereites Publikum, das sich zumindest in seinem Verhalten bereits weitgehend von einem engen, sexuell-konservativen Denken abgewandt hatte.
Trivia
Über Kinsey wurde ein Film mit Liam Neeson gedreht.