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FlexiEssay: Indikationsgerechte Behandlung der Endodontitis

Dr. No
Bijan Fink
Arzt | Ärztin
Dr. Frank Antwerpes
Arzt | Ärztin
Georg Graf von Westphalen
Arzt | Ärztin
Dr. No, Bijan Fink + 4

Dieser Text ein so genannter FlexiEssay. So nennen wir Texte, die keinen lexikalischen Inhalt haben. FlexiEssays geben die persönliche Einschätzung des Autors wieder. Sie werden von uns nicht inhaltlich überprüft. Wie bei allen anderen Texten gilt: Lies dir den Artikel kritisch durch, vergleiche ihn mit anderen Publikationen und bilde dir eine eigene Meinung.

Einleitung

Die Behandlung der Endodontitis und die Füllungstherapie bilden das Fundament der konservierenden Zahnheilkunde. Unsere Patienten sollten also davon ausgehen können, dass diese Basisleistungen von allen Allgemeinzahnärzten lege artis und in der Folge langfristig erfolgreich erbracht werden. Die Realität der Therapie der Endodontitis ist jedoch eine andere, ihr Outcome leider ernüchternd.

Laut der statistischen Jahrbücher der KZBV [11] wurden in Deutschland in 2003 ca. 10,3 Millionen (1993: 9,1 Mio) Kanalaufbereitungen, jedoch nur ca. 7,8 Millionen (1993; 7,3 Mio) Kanalfüllungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet. Innerhalb von 10 Jahren ist die Zahl der Kanalaufbereitungen somit um gut 13% gestiegen, die Zahl der Kanalfüllungen konnte mit nur knapp 7% Steigerung allerdings nicht Schritt halten. Wurden in 1993 noch gut 80% der aufbereiteten Kanäle abgefüllt, so waren es in 2003 nur noch knapp 76%. Die Zahl der Zähne, bei denen eine Wurzelkanalbehandlung versucht wurde, ist also deutlich angestiegen, der prozentuale Anteil, bei denen sie abgeschlossen wurde, deutlich abgesunken. Nach einer Untersuchung von Hülsmann aus 2001[6] sind darüber hinaus ca. 60% der in der Allgemeinpraxis gelegten Wurzelkanalfüllungen insuffizient und ca. 50% der abgefüllten Zähne bereits nach 5 Jahren nicht mehr in situ.

In perfekter Harmonie mit der Dentalindustrie, die die dafür notwendige Mechanik bereitstellt, und der zahnärztlichen Wissenschaft, die hierfür die Grundlagen abzusichern scheint, schrauben die Spezialisten für Endodontie die Anforderungen an eine genau so perfekte wie langfristig voraussagbar erfolgreiche Wurzelbehandlung in immer neue Höhen. Sie suggerieren zudem, im Hinblick auf die oben genannten Zahlen auf den ersten Blick scheinbar zurecht, dass ein nicht weitergebildeter Zahnarzt gar nicht mehr in der Lage sein kann, eine in ihren Augen in jeder Hinsicht das Prädikat „lege artis“ verdienende Wurzelkanalbehandlung durchzuführen, und bieten werbend ihre Dienste an.

Fragen und Antworten

Vor diesem Hintergrund bedürfen mehrere Fragen der Klärung:

Bevölkerungsweite Behandlung der Endodontitis

Ist eine bevölkerungsweite Behandlung der Endodontitis und ihrer Komplikationen durch Spezialisten überhaupt ein realistisches Szenario?

Diese Frage muss mit einem eindeutigen „Nein“ beantwortet werden.

Zum einen kann angesichts der Notwendigkeit von mehr als 10 Millionen Behandlungen pro Jahr die erforderliche Zahl an Spezialisten nicht einmal in sehr ferner Zukunft bereitgestellt werden. Selbst in den USA, die schon eine sehr lange Tradition der Spezialisierung pflegen, werden nur ca. 15% der Wurzelbehandlungen durch Spezialisten ausgeführt. Zum anderen ist der Preis, den diese für ihre zeitaufwendigen mechanischen Bemühungen fordern (müssen), so hoch, dass er nur von einer Minderheit der Patienten und schon gar nicht von den gesetzlichen Versicherungen bezahlbar ist, da für eine Molarenbehandlung bis zu 1200,- € gefordert werden.

Die dringliche Verbesserung der Volksgesundheit kann also nur gelingen, wenn die überwiegende Mehrzahl der Allgemeinzahnärzte lernt, eine voraussagbar langfristig erfolgreiche Wurzelbehandlung auch in schwierigeren Fällen selbstständig, unter akzeptablem Zeitaufwand und zu einem bezahlbaren Preis durchzuführen. Darüber hinaus wäre es hochblamabel für unseren Berufsstand, einräumen zu müssen, dass eine zahnerhaltende Basisleistung in lege artis Manier nur den besonders solventen 10% unserer Patienten zu Verfügung steht, während die übrigen 90% zwar irgendwie, in den Augen der Endodontologen und der sie motivierenden Wissenschaftler jedoch keinesfalls lege artis behandelt werden können.

Erfolgsquoten der "modernen" Endodontologie

Sind die Erfolgsquoten der „modernen“ Endodontologie wirklich so überragend, dass sie für den Allgemeinzahnarzt unerreichbar sind?

Auch diese Frage muss mit einem eindeutigen „Nein“ beantwortet werden.

In seinem viel beachteten Editorial beklagt David Figdor [4] in 2002 die in den letzten 50 Jahren unverändert unbefriedigenden Langzeitergebnisse bei der Therapie der komplizierten Endodontitis. Kojima et al. [10] kommen in einer Metaanalyse weltweit vorliegender, evidenzbasierter Studien zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsraten bei Zähnen ohne apikale Ostitis nur 82 % und bei Beherdung lediglich 71,5 % betragen. Castagnola [2] hingegen veröffentlichte bereits vor mehr als 50 Jahren trotz der damals materialbedingt erheblich eingeschränkten technischen Möglichkeiten vergleichbare Ergebnisse aus der Universität Zürich, obwohl er deutlich strengere Erfolgskriterien anlegte: Damals galt alles außer der vollständigen, röntgenologisch knochendichten Ausheilung als Misserfolg, während heute bereits eine Verkleinerung der apikalen Aufhellung als Erfolg gewertet wird und ihre unveränderte Größe als „akzeptabel“ gilt.

Probleme der "modernen“ Endodontologie

Was also läuft falsch in der "modernen“ Endodontologie, nicht nur in Deutschland?

Erfolgreich ist eine Therapie immer dann, wenn sie die Erkrankung ihrer individuellen Ätiologie und Pathogenese entsprechend ursächlich, also indikationsgerecht behandelt.

2006 jährt sich die umfassende Beschreibung von Ätiologie, Pathogenese und Therapie der Endodontitis durch den deutschen Zahnarzt Prof. Dr. Otto Walkhoff (1860-1934) zum 100. Mal. Walkhoff beschrieb die Endodontitis mit ihren Komplikationen als bakterielle Infektionskrankheit eines umschriebenen Hohlraumsystems und seiner Umgebung und leitete daraus ihre indikationsgerechte Behandlung ab, die er 1928 in seinem damals Aufsehen erregenden Lehrbuch „Mein System der medikamentösen Behandlung schwerer Erkrankungen der Zahnpulpa und des Peridontiums“ beschrieb [17]. Seine Therapie gliedert sich in 3 logisch aufeinander folgende Schritte:

Die Komplexität des endodontischen Hohlraumsystems ist spätestens seit der Veröffentlichung der beeindruckenden anatomischen Bilder des Züricher Anatomen Prof. Dr. Walter Hess am Anfang des letzten Jahrhunderts bekannt. Es besteht aus wenigen Hauptkanälen, zahllosen kleineren bis kleinsten Nebenkanälen, unzähligen Verzweigungen wie dem apikalen Delta und einer unendlichen Anzahl mikroskopisch kleiner Tubuli, die alle untereinander und mit dem Parodontalraum kommunizieren. Bei einer Gangrän sind alle Anteile dieses Systems bakteriell besiedelt. Konsens besteht seit jeher, dass maximal 50% des Volumens auf Kanäle entfallen, die der mechanischen Reinigung zugänglich sind [17]. Auf der letzten Tagung der Deutschen Gesellschaft für Endodontie wurde eine Studie über die rotierende Aufbereitung mit einem neuen NiTi-Feilen-System diskutiert, die eine Steigerung der Reinigung der mechanisch zugänglichen Bereiche von 60 auf 65% nachweist, was von den Teilnehmern als bedeutender Fortschritt bewertet wurde. Unbeachtet blieb jedoch, dass diese Studie vor allen Dingen beweist, dass, bezogen auf das Gesamtvolumen, selbst bei Einsatz modernster Technik fast 70% des Hohlraumsystems durch die mechanische Aufbereitung nicht erreicht werden.

Daraus folgt zwingend, dass das Problem der von Figdor beklagten, in den letzten 50 Jahren nicht verbesserten, unbefriedigenden Langzeitergebnisse bei der Therapie der Endodontitis mit verbesserter Mechanik allein nicht zu heilen ist, weil die Bedingungen einer indikationsgerechten Behandlung nicht erfüllt werden. Denn wie Walkhoff nachwies, bereitet die mechanische Aufbereitung der sich an sie anschließenden, geduldigen chemischen Desinfektion nur den Weg, alle Bereiche des infizierten Hohlraumsystems keimfrei zu machen [17].

In einer bemerkenswerten in-vivo-Studie zeigen Nair et al. [14] in 2005 bei der mikrobiellen Nachuntersuchung von Wurzelspitzenresektaten nach endodontischer Versorgung beherdeter Molaren nach dem sogenannten Goldstandard (mechanische lege-artis-Aufbereitung mit rotierenden NiTi-Feilen oder Handinstrumenten, 30minütige abwechselnde Saug-Spül-Drainage mit 5.5% NaOCl und EDTA, sofortige dichte Obturation), dass in 90% der Fälle biofilmbildende Keime im Hohlraumsystem persistieren. In 2004 wiesen Tang et al. [16] molekularbiologisch die Persistenz von Keimen in 25 von 31 aufbereiteten, mit steriler Kochsalzlösung gespülten Wurzelkanälen nach einwöchiger Einlage von Ca(OH)2 oder Septomixine (Framecytinsulfat plus Hydrocortison) nach. In einer bedeutsamen Untersuchung belegten Tronstad et al.[12] in 2003, dass das apikale Granulom von biofilmbildenden Bakterien besiedelt ist, die endodontische Infektion also keineswegs auf das intradentale Hohlraumsystem beschränkt ist. Hier ist zu fragen, wie man je etwas anderes annehmen konnte. Schließlich gibt es keine anatomische Struktur, wie sie etwas ein Lymphknoten darstellt, der die Bakterien daran hindern könnte, den Knochen zu penetrieren. Weder die von einigen Autoren geradezu mystifizierte apikale Konstriktion noch der Parodontalspalt bilden eine solche Keimbarriere.

Vor dem Hintergrund der damit endgültig widerlegten falschen Lehrmeinung, das apikale Granulom sei eine „sterile, bakterienfreie Zone“, überrascht es nicht, dass Marending et al. [13] in 2005 endlich auch wissenschaftlich belegen, dass die Qualität der Immunantwort des jeweiligen Patienten neben der Größe der apikalen Beherdung und der Qualität der Wurzelfüllung einer der drei bedeutendsten Parameter für die Voraussagbarkeit des Ausheilungserfolges ist. Die als modern auftretende Endodontie macht also ohne Not auf halbem Wege halt und überlässt die Ausheilung des apikalen Infektes allein der Qualität der Immunantwort des jeweiligen Patienten. Die Behandlung beschränkt sich auf das Wurzelinnere, ist also unvollständig und damit nicht indikationsgerecht, was zwangsläufig zu nicht akzeptablen Behandlungsergebnissen führt.

Schon angesichts dieser kleinen Auswahl aus einer Vielzahl von Studien, die allesamt aus dem neuen Jahrtausend stammen, kann nicht länger übersehen werden, dass die Endodontitis mit dem heute als state of the art geltenden Behandlungsprotokoll gar nicht mit einer Erfolgsgrate ausgeheilt werden kann, die man bei der Behandlung einer einfachen bakteriellen Infektionskrankheit in einem sehr überschaubaren anatomischen Umfeld in der heutigen Zeit erwarten muss. Es ergibt sich vielmehr zwingend die Forderung nach einer Neuorientierung, und mit ihr die Notwendigkeit, endlich Walkhoffs Forderung nach zusätzlicher geduldiger Desinfektion mit Chemotherapeutika zu erfüllen, die zum einen potent genug sind, alle beteiligten Erreger zuverlässig abzutöten, und zum anderen alle infizierten Bereiche einschließlich des Granuloms ohne schädliche Nebenwirkungen penetrieren können.

Prinzipien einer indikationsgerechten endodontischen Behandung

Wie müsste eine endodontische Behandlung beschaffen sein, die es den Allgemeinzahnärzten ermöglicht, den bestehenden Bedarf an einer indikationsgerechten und voraussagbar erfolgreichen Endodontie unmittelbar und bevölkerungsweit zu decken?

Anhand der neueren Literatur wird deutlich, dass bereits einige wenige Endodontologen auf der Suche nach einem Desinfektionsprotokoll sind, das diese Forderungen erfüllt. So verwendet beispielsweise der international renommierte J. F. Siqueira [9] mit beachtlichem Erfolg kampferisiertes Parachlorphenol in früher als therapieresistent eingestuften Fällen als medizinische Einlage, obwohl er eine minderwertige Lösung anwendet, die er noch dazu mit Ca(OH)2 vermischt, was seine Wirkung aufgrund der Pharmakokinetik eher behindert als fördert [17].

Die internationale Lehrmeinung dogmatisiert allerdings nach wie vor die Wechselspülung mit 5,5%igem NaOCl und 10%igem EDTA. Natriumhypochlorid ist in dieser Konzentration als medizinische Langzeiteinlage ungeeignet, da es auf Dauer das Dentin dezimiert [1]. Weil es stark ätzend ist, auch lebendes Gewebe auflöst und in dieser Konzentration erhebliche irreversible, im Einzelfall sogar lebensbedrohlichen Zwischenfälle verursachen kann [7], darf es nicht über den Apex hinaus gelangen und ist folgerichtig zur Desinfektion des infizierten Periapex mit einer Kontraindikation belegt. Diese Anwendungsempfehlung schließt die Schaffung eines ausreichenden Zugangs zum periapikalen Knocheninfekt über die Zahnwurzel explizit aus. Tatsächlich ist der ungehinderte Zugang zum Granulom jedoch die conditio sine qua non für jegliche medizinische Einlage, die genau dort wirksam werden muss. Darüber hinaus ist NaOCl mit dem Risiko der verbreiteten Allergie gegen Haushaltsreiniger behaftet. Für das nach der aktuellen Lehrmeinung als desinfizierende Einlage empfohlene Ca(OH)2 wurde in mittlerweile zahllosen alten und neuen Studien die Unwirksamkeit gegen eine Vielzahl, für die endodontische Infektionskrankheit bedeutsamer Keime nachgewiesen [9, 16]. Dieser seit Jahren vorliegende wissenschaftliche Beweis hindert die DGZMK jedoch nicht, Ca(OH)2 in ihrer jüngsten Stellungnahme zur Endodontie erneut als einziges Mittel zur Langzeitdesinfektion zu empfehlen[8]. EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure) ist noch weniger wirksam, und für das in letzter Zeit ins Gespräch gebrachte CHX (Chlorhexidin) liegen aussagekräftige klinische Studien nicht vor.

Unter Beachtung der sich aus Ätiologie und Pathogenese der Endodontitis und der Anatomie der Zähne zwingend ergebenden Indikationsstellung habe ich in meiner allgemeinzahnärztlichen Praxis ein ebenso einfaches wie voraussagbar erfolgreiches Desinfektionsprotokoll entwickelt, das die offenkundige Problematik der schlechten Langzeitergebnisse selbst in ausgesprochen schwierigen Fällen heilen kann. Es erfüllt vollständig Walkhoffs einleuchtende Thesen und besteht aus mehreren logisch aufeinander folgenden Einzelschritten, deren jeweiliger Erfolg klinisch überprüft werden kann. Im Wesentlichen beruht es auf der genau so sorgfältigen wie geduldigen Anwendung des von Walkhoff erfundenen und in die Zahnheilkunde eingeführten kampferisierten Parachlorphenols (Original ChKM-Lösung nach Prof. Walkhoff, Fa. Haupt Dental, Würzburg) im Anschluss an die weite mechanische Aufbereitung [2, 5, 17].

Das wirksamste bei der Anwendung am Menschen beherrschbare Mittel unter den Desinfektions-Ausgangsstoffen ist Parachlorphenol. Sein Nachteil ist, dass es genau wie hochprozentiges Hypochlorid stark ätzend ist. Durch Zugabe des Desinfektionsmittels Kampfer als Lösungsmittel bis zur Sättigungsgrenze entsteht in einem besonderen technischen Verfahren eine bei Zimmertemperatur stabile Lösung, in der die Ätzwirkung des Parachlorphenols jedoch vollständig aufgehoben ist. Das schwer wasserlösliche Menthol wirkt zusätzlich desinfizierend und hat eine anästhesierende und adstringierende Wirkung. Entscheidend ist, dass weder Alkohol noch andere Lösungsmittel zugegeben werden, weil diese die Gewebeverträglichkeit aufheben. Wesentlich ist also die Rezeptur in Zusammensetzung und Verhältnis. In der Walkhoffschen Originallösung sind die einzelnen Komponenten nicht chemisch, sondern lediglich physikalisch miteinander verbunden. Diese sehr lockere Chlorphenol-Kampfer-Menthol-Verbindung wird bereits durch Zutritt einer äußerst geringen Menge Sekrets zerstört, wobei es einerseits zu einer Abscheidung von Kampfer und Menthol und andererseits zur Bildung einer lediglich 1,3%igen Carbollösung von nicht ätzender, aber nach wie vor bakterizider, konstant bleibender Konzentration in einem Fließgleichgewicht kommt. Unabhängig von der Menge des zutretenden Sekrets stellt sich immer die gleiche Konzentration ein. Es kann daher im Gegensatz zu konzentriertem NaOCl nicht zur Nekrose von gesundem Gewebe führen, da die Konzentration in jedem Falle zu gering ist. Kampfer und Menthol scheiden sich in außerordentlich feiner, kristalliner Verteilung in allen Hohlräumen ab und bilden ein Langzeit-Depot mit klinischer Bedeutung [17]. Darüber hinaus ist ChKM ausgesprochen kriechfähig. Befüllt man einen Wurzelkanal, so ist es innerhalb von 24 Stunden auf der Wurzeloberfläche nachweisbar [3]. Es ist also in der Lage, die Tubuli zu penetrieren und den Periapex zu erreichen und so alle bakteriell infizierten Bereiche zu desinfizieren.

Während Berichte über irreversible Nebenwirkungen von NaOCL in der verwendeten hohen Konzentration mittlerweile zahlreich und unübersehbar sind [7], findet sich in der Weltliteratur nicht ein einziger über ChKM. Das einzige, was man gegen die Walkhoffsche Lösung vorbringen kann, ist, dass sie nicht gerade gut riecht und schmeckt. Das gilt aber umso mehr für NaOCl in der verwendeten Konzentration. Schlechter Geruch und Geschmack können ärztlicherseits vor dem Hintergrund der therapeutischen Potenz eines Arzneimittels bei fehlenden Nebenwirkungen nicht als Argument akzeptiert werden, es den Patienten vorzuenthalten.

Erfolgsaussichten

Wie sind die Erfolgsaussichten bei penibler Anwendung dieses Endodontie-Protokolls?

Im Rahmen einer Dissertation wurde von Bettina Speich [15] in 2003 eine retrospektive Studie über Art und Verlauf der Versorgung der endodontisch behandelten Zähne unserer Gemeinschaftspraxis durchgeführt. Von den ca. 3500 Zähnen, bei denen bis zum Beginn der Studie Wurzelfüllungen gelegt worden waren, wurden 728 Zähne (ca. 20%) untersucht, bei denen eine röntgenologische Kontrollaufnahme vorlag, die mindestens 2 Jahre alt war. Die Patientenauswahl war nicht randomisiert. Die Fälle stammten aus der laufenden Kartei, wurden zufällig (im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs), also wahllos, ausgewählt. Kein Patient wurde eigens einbestellt. Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum betrug 5,9 Jahre (2,1 bis 15,3 Jahre). 57,7 % (420) der Zähne wiesen bei Behandlungsbeginn eine röntgenologisch diagnostizierbare apikale Aufhellung auf, was auf die weite Indikationsstellung zum Zahnerhalt hinweist. Ausgeschlossen von der Untersuchung waren Patienten mit therapieresistenter Parodontitis und schweren Allgemeinerkrankungen. 94,5 % aller endodontisch versorgten Zähne standen nach diesem Zeitraum ohne klinische Symptomatik in Funktion. Die Mehrzahl der verlorenen Zähne musste wegen Stiftkomplikationen (Wurzelfrakturen, Perforationen) entfernt werden. Dazu ist zu sagen, dass wir anfangs der irrigen Auffassung waren, dass immer der größtmögliche Stift zu verwenden sei, und dass das Protokoll im Untersuchungszeitraum verändert wurde, nachdem wir diesen Irrtum aufgrund der Misserfolge bemerkt hatten. Auf den rein endodontischen Misserfolg bezogen, ergab sich eine Erhaltungssquote von 98,4 %, da nur 11 der 728 Zähne aufgrund von Komplikationen extrahiert werden mussten, die auf einen Misserfolg der eigentlichen Wurzelkanalbehandlung zurückzuführen waren. Die Notwendigkeit einer Wurzelspitzenresektion wegen eines endodontischen Misserfolgs ergab sich in 4 Fällen (0,5%).

Schlussbemerkungen

Was bleibt zu sagen übrig? Einzigartig an dieser Studie ist, dass jeder Kollege seine Indikationsstellung zum Zahnerhalt mit der unsrigen vergleichen kann, da wir mehr als 100 aussagekräftige Fallbeispiele im Internet veröffentlicht haben, um beispielhaft voranzugehen. Das größte Fragezeichen hinter jeder publizierten Erhaltungssquote ist schließlich die Indikationsstellung des jeweiligen Behandlers zum Zahnerhalt, die aus keiner Statistik herauszulesen ist. Derjenige, der die engste Indikation zum Zahnerhalt stellt („intelligent case selection“), veröffentlicht möglicherweise die besten Ergebnisse. Darüber hinaus sind auf der genannten Homepage mehr als 30 beeindruckende Fälle anderer Behandler zu sehen, die dieses Protokoll inzwischen erfolgreich anwenden und erfreut darüber berichten, dass sie heute Zähne erhalten, von denen sie vorher nicht geglaubt hätten, dass sie konservierend ausheilbar seien, und die sie früher extrahiert oder zumindest primär reseziert hätten.

In der Geschichte der Endodontie gibt es zahllose Versuche, notwendige Behandlungsschritte auszulassen, um die Therapie abzukürzen. Alle sind gescheitert. Extreme Positionen werden von denjenigen eingenommen, die glauben, lediglich gründlich desinfizieren zu müssen, wie auch von denen, die die mechanische Aufbereitung zum Maß aller Dinge erheben. Wir führen unsere Erfolge darauf zurück, dass wir beide Positionen integrieren, indem wir sowohl ordentlich aufbereiten und dabei Zugang zum apikalen Infekt schaffen als auch anschließend genau so sorgfältig wie geduldig mit einem Mittel desinfizieren, das bei Abwesenheit von Nebenwirkungen alle Forderungen erfüllt, die man an ein Desinfektionsmittel stellen muss, das in diesem mechanisch in weiten Bereichen unzugänglichen anatomischen Umfeld zur Anwendung gebracht wird.

David Figdor errechnet trotz der im Vergleich zu Deutschland deutlich niedrigeren Misserfolgsraten allein für die USA volkwirtschaftliche Schäden in der Höhe von „billions of dollars“ [4]. Man darf schließlich nicht übersehen, dass durch Brücken, Prothesen und Implantate Zähne ersetzt werden, von denen die weit überwiegende Mehrzahl vor ihrer Extraktion eine nicht oder nicht erfolgreich behandelte Endodontitis durchgemacht hat, von den in den Folgejahren immer wieder notwendigen Neuversorgungen und Erweiterungen ganz abgesehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Studien und des seit beinahe 100 Jahren verfügbaren Wissens ist die vorwiegend mechanische Orientierung der endodontischen Lehre und Forschung als überholt zu bewerten. Mit unserem Protokoll geben wir dem Allgemeinpraktiker ein einfaches Verfahren an die Hand, das helfen kann, die eigene Indikationsstellung zum konservativen Zahnerhalt zu erweitern und den endodontischen Misserfolg, der unzählige erhaltungswürdige Zähne der Extraktion zuführt, zu vermeiden.

Literatur

  1. Barbosa SV, S. K., Spangberg SW: Influence of sodium hypochlorite on the permeability and structure of cervical human dentine. Int Endod J 27, 309 (1994).
  2. Castagnola, L.: Die Behandlung infizierter Pulpen und Wurzelkanäle und ihre Folgeerscheinungen. Helmut Haase-Verlag, Heidelberg 1951.
  3. Chang, Y., DDS,MMS, K-W.Tai,DDS,MDS, L Chou, DDs,PhD, and M-Y Chou, PhD: Effects of Camphorated Parachlorphenol on Human Periodontal Ligament Cells In Vitro. J Endodont 25, 779 (1999).
  4. D. Figdor, M., FRACDS, Dip Endo, FPFA, PhD: Apical periodontitis: A very prevalent problem. ORAL SURG ORAL MED ORAL PATHOL 94, 651 (2002).
  5. Engel, H.: Die Behandlung infizierter Wurzelkanäle und Granulome nach der Methode von Walkhoff. Vergleichend rö-histologische Untersuchungen. Schweiz Monatsschr Zahnmed 11, (1950).
  6. Hülsmann, M.: Endodontie in Deutschland. Der Artikulator 71, (2001).
  7. Hülsmann, M., Denden, J. M: Iatrogene Zwischenfälle bei der Wurzelkanalspülung - Literaturübersicht und Falldarstellung. Endodontie 3, 191 (1997).
  8. Hülsmann, M., Schäfer, E.: "Good clinical practice": Die Wurzelbehandlung. Stellungnahme der DGZ/DGZMK. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60, 418 (2005).
  9. J.F. Siqueira, H. P. L.: Kaliumhydroxid als antimikrobielle Einlage in der Endodontie - Wirkungsmechanismen, Vorteile und Grenzen. Endodontie 11, 333 (2002).
  10. Kojima, K., Inamoto, I.: Success rate of endodontic treatment of teeth with vital and nonvital pulps. A metaanalysis. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 95, 97 (2004).
  11. KZBV: KZV Jahrbuch.1995 und 2004.
  12. Leif Tronstad, P. T. S.: The evolving new understanding of endodontic infections. Endodontic Topics, (2003).
  13. Marending M, P. O., Zehnder M: Factors affecting the outcome of orthograde root canal therapy in a general dentistry hospital practice. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 99, 119 (2005).
  14. Nair P. N. R. , H. S., Cano Victor, Vera Jorge: Microbial status of apical root canal system of human mandibular first molars with primary apical periodontitis after ‘‘one-visit’’ endodontic treatment. ORAL SURG ORAL MED ORAL PATHOL 99, (2005).
  15. Speich, B.: Retrospektive Studie zu Themen der Endodontie und der definitiven Versorgung an 728 endodontisch behandelten Zähnen. Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz dem Fachbereich Medizin vorgelegt, (2003).
  16. Tang G, S. L., Yip HK: Molecular evaluation of residual endodontic microorganisms after instrumentation, irrigation and medication with either calcium hydroxide or Septomixine. Oral Dis 10, # Walkhoff, O.: Mein System der medikamentösen Behandlung schwerer Erkrankungen der Zahnpulpa und des Periodontiums. Verlag von Hermann Meuser, Berlin 1928.

Hinweise

FlexiEssays geben die persönliche Einschätzung des Autors wieder, die nicht notwendigerweise mit der allgemeinen Lehrmeinung kongruent ist.

Stichworte: Endodontologie
Fachgebiete: Zahnmedizin