Fetale Alkoholspektrumstörung
Abkürzung: FASD
Englisch: fetal alcohol spectrum disorders, FASD
Definition
Als fetale Alkoholspektrumstörungen, kurz FASD, bezeichnet man eine Gruppe irreversibler physischer und psychischer Geburtsdefekte, die bei Kindern auftreten können, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert haben.
Begriffsabgrenzung
Der Begriff "fetale Alkoholspektrumstörungen" (FASD) ist ein Sammelbegriff für verschiedene durch intrauterine Alkoholexposition ausgelöste Veränderungen beim Kind. Die FASD beinhaltet das Vollbild der Ausprägungen, also das fetale Alkoholsyndrom (FAS) (früher häufig als Alkoholembryopathie bezeichnet), aber auch das partielle fetale Alkoholsyndrom (pFAS), die alkoholbedingten neurologischen Entwicklungsstörungen (ARND) und die alkoholbedingten Geburtsschäden (ARBD). Die Verwendung des Begriffes ARBD wird aktuell in Deutschland nicht empfohlen.
Epidemiologie
Die FASD-Prävalenz wird in Deutschland auf ca. 1 % geschätzt.[1] Jedes Jahr kommen in Deutschland ca. 4.000 bis 6.000 erkrankte Kinder auf die Welt, wobei das FAS ca. 10 % aller FASD-Fälle ausmacht. Damit tritt die FASD deutlich häufiger auf als das chromosomal bedingte Down-Syndrom.
Ursachen
Die Ursache ist immer und ausschließlich ein Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft. Alkohol ist ein toxisch wirkender, kleinmolekularer Stoff, der die Plazentaschranke durchdringt, so dass das Ungeborene in kurzer Zeit über die Nabelschnur den gleichen Alkoholgehalt im Blut aufweist wie seine Mutter.
Der Organismus der Mutter baut den Alkohol zehn mal schneller ab als der Embryo (bis zur 9. Schwangerschaftswoche) oder der Fetus (ab der 9. Schwangerschaftswoche). In Abhängigkeit vom Reifestadium des Ungeborenen und der Alkoholmenge wirkt sich der Alkoholkonsum der Schwangeren irreversibel schädigend auf die körperliche, kognitive und soziale Entwicklung des Kindes aus. Durch den Alkohol kommt es u.a. zu Schädigungen der Purkinje-Zellen im embryonalen Kleinhirn.
Es gibt keine vorgeschriebene sichere Grenze der Alkoholmenge während der Schwangerschaft. Das Bundesministerium für Gesundheit rät deshalb schwangeren Frauen, ganz auf Alkohol zu verzichten. Ein Embryo hat keine und ein Fetus nur geringe eigene Möglichkeiten zum Abbau von Alkohol, da die dafür notwendigen Enzyme nur sehr begrenzt vorhanden sind. Das Enzym Alkoholdehydrogenase, das beim Alkoholabbau eine wichtige Rolle spielt, erreicht erst beim fünfjährigen Kind den Wert eines Erwachsenen.
FASD ist keine genetisch bedingte Störung ist, deshalb spielt der Alkoholkonsum des Vaters hinsichtlich der Entwicklungsstörungen keine Rolle. Im Idealfall sollte der Vater in Anwesenheit der werdenden Mutter aber ebenfalls auf Alkohol verzichten, um keine situativen Zielkonflikte zu erzeugen.
Symptome
Die Ausprägungen der Symptome variieren stark. Besonders die neuro-psychologischen Veränderungen führen häufig zu schwerwiegenden Einschränkungen des Alltagslebens.
Wachstumsveränderungen
Prä- und postnatale Entwicklungsdefizite bzgl. Körpergröße (≤ 10. Perzentile) und Körpergewicht (≤ 10. Perzentile), sowie des BMI (≤ 10. Perzentile), jeweils angepasst an Gestationsalter, Alter, Geschlecht und nach Ausschluss anderer Ursachen.
Kraniofaziale Veränderungen
Zu diesen Auffälligkeiten zählen besonders die folgenden drei charakteristischen Merkmale:
- kurze Lidspalten (≤ 3. Perzentile)
- verstrichenes Philtrum (Rang 4/5 Lip-Philtrum-Guide)[2]
- schmales Oberlippenrot (Rang 4/5 Lip-Philtrum-Guide)[2]
Zusätzlich können häufig eine kurze, flache Nase, Zahnanomalien, eine Gaumenspalte oder Ohrdysplasien beobachtet werden.
ZNS-Veränderungen
- strukturell: Mikrozephalie (≤ 10. Perzentile), Mikroenzephalie
- funktionell: globale Intelligenzminderung (mind. 2 SD unter der Norm), Epilepsie, Entwicklungsverzögerungen, Einschränkungen in Bereichen wie Aufmerksamkeit, Lern-, Rechen- und Merkfähigkeit, räumlich-visuelle Wahrnehmung, Impulskontrolle, Fein- und Grobmotorik, Sprache, Sozialverhalten, logisches Denken.
Weitere Symptome
U.a. Herzfehler, Seh- und Hörstörungen, Fehlbildungen des Urogenitalbereichs (z.B. Hypospadie, Kryptorchismus, Klitorishypertrophie), Skelettanomalien (z.B. Skoliose), Schlafstörungen, verändertes Schmerzempfinden, häufiges Auftreten von psychischen Störungen (z.B. ADHS, Depression)
Diagnose
Die Diagnose ist häufig schwer zu stellen. Die Symptome sind vielfältig und verlässliche Informationen über den Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft sind oft schwer zur ermitteln.
Die Tabelle gibt einen Überblick über die Diagnostik. Die konkreten Merkmale sind unter "Symptome" aufgelistet.
FAS | pFAS | ARND | |
---|---|---|---|
Wachstum | Mindestens 1 Auffälligkeit | / | / |
Kraniofaziale Veränderungen | Mindestens 3 der charakteristischen Merkmale | Mindestens 2 der charakteristischen Merkmale | / |
ZNS-Veränderungen | Mindestens 1 bis 2 Merkmale | Mindestens 3 Merkmale | Mindestens 3 Merkmale |
Alkoholkonsum in der Schwangerschaft | bestätigt oder unbestätigt | bestätigt oder wahrscheinlich | bestätigt |
Prävention
Die wirksame Vermeidung von Schädigungen des Ungeborenen ist der konsequente Verzicht auf Alkohol durch die Schwangere während der gesamten Dauer der Schwangerschaft. Der Gynäkologe sollte immer auf die möglichen Risiken hinweisen und Frauen zum verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol nachdrücklich anhalten.
Therapie
FASD ist irreversibel und kann kausal nicht geheilt werden. Durch individuelle symptomatische Frühförderung kann jedoch häufig eine Erleichterung des Lebensalltags erreicht werden. Organische Anomalien können teils operativ behandelt werden (z.B. Herzfehler, Gaumenspalte). Psychische Auffälligkeiten, wie ADHS oder Störungen der Impulskontrolle, können medikamentös eingestellt werden.
Quellen
- ↑ Landgraf MN: Fetale Alkoholspektrumstörung – Diagnose und frühe Förderung Hebamme 2017; 30(05): 320-327. DOI: 10.1055/s-0042-108418.
- ↑ 2,0 2,1 Astley SJ: Invited commentary on Australian fetal alcohol spectrum disorder diagnostic guidelines. BMC Pediatr. 2014 Apr 1;14:85. doi: 10.1186/1471-2431-14-85.