Medinetz
Synonym: Medibüro
Definition
Medinetze sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für eine provisorische medizinische Versorgung von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus einsetzen. In Deutschland existieren insgesamt 36 Medinetze bzw. Medibüros, die sich in regelmäßigen Abständen sowohl regional als auch bundesweit austauschen. Das erste Medinetz wurde 1994 in Hamburg gegründet.
Hintergrund
Je nachdem, welchen Aufenthaltsstatus Menschen in Deutschland haben, stoßen sie bei einer medizinischen Versorgung auf verschiedene Probleme. Sogenannte "Illegalisierte" bzw. "Sans Papiers", also Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung, die sich nicht legal in Deutschland aufhalten und denen eine Abschiebung droht, müssten sich für eine Kostenübernahme an das lokale Sozialamt wenden.
Laut § 87 des Aufenthaltsgesetzes ist das Sozialamt jedoch zur Meldung von Menschen mit einem ungültigen Aufenthaltsstatus verpflichtet, was eine Abschiebung oder gar Inhaftierung zur Folge hätte. Aus diesem Grunde suchen viele dieser Menschen keinen Arzt auf und leiden nicht selten an Krankheiten, die chronifizieren und im Extremfall auch zum Tod führen können. Durch eine frühzeitige Behandlung könnte diesen Menschen im deutschen Gesundheitssystem geholfen werden, so dass gesundheitliche Folgen verhindert werden.
Asylbewerber oder Menschen mit einer Duldung haben laut §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes ein Recht auf die Kostenübernahme der Behandlung von akuten Erkrankungen oder Schmerzzuständen, der Behandlungen während einer Schwangerschaft oder Geburt sowie von Schutzimpfungen, Vorsorgeuntersuchungen oder sonstigen Leistungen - vor allem, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerläßlich sind (§ 6 AsylbLG ) sind. Aufgrund der Handhabung der zuständigen Sozialämter und Unsicherheiten und Wissenslücken bei vielen Ärzten haben Asylbewerber jedoch im konkreten Fall häufig Schwierigkeiten, ihr Recht auf medizinische Versorgung umzusetzen. Das Gesetz beinhaltet z.B. keine Versorgung von chronischen Krankheiten oder eine zahnmedizinische Prävention. Neben Migranten betreuen viele Medinetze beispielsweise auch Obdachlose ohne Krankenversicherung.
Aufgaben und Ziele
Die Aufgaben und Ziele der verschiedenen Medinetze in Deutschland differieren bundesweit in der Gewichtung. Generalisierend lassen sich jedoch folgende Zielsetzungen zusammenfassen:
- Direkte Hilfe: Vermittlung medizinischer Hilfe für Migranten, unabhängig von deren Aufenthalts- oder Krankenversicherungsstatus
- Weiterbildung medizinischen Personals
- Politische Arbeit
- Kooperation mit anderen Initiativen
- Beratung von Landtagen (z.B. Medinetz Leipzig in Sachsen)
- Engagement für die medizinische Versorgung aller Menschen durch Veränderungen in der Gesundheitsversorgung
- Regionale und bundesweite Vernetzung mit anderen aktiven Medinetzen bzw. Medibüros
Ziel ist es nicht, Parallelstrukturen aufzubauen oder sich als permanente Anlaufstelle für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus zu etablieren, sondern durch die politische Arbeit nachhaltig etwas an der deutschen Gesetzgebung zu verändern und sich für staatliche Lösungen einzusetzen.
Angebote
Die konkreten Angebote der Medinetze sind regional unterschiedlich. Prinzipiell bietet jedoch jedes Medinetz/-büro
- eine (mindestens) wöchentliche kostenlose anonyme Sprechstunde mit anschließender Vereinbarung von Terminen mit kooperierenden Ärzten oder Ärztinnen.
- telefonische Erreichbarkeit oder Erreichbarkeit per Mail außerhalb der Sprechzeiten
- die Erstattung von Behandlungs- und ggf. Fahrtkosten (regional unterschiedlich)
Mitwirkende
Zu den Medinetzen gehören in aller Regel ehrenamtliche Vermittler zwischen den Migranten und den Berufsgruppen des Gesundheitswesens, welche größtenteils Medizinstudenten sind. Sie vermitteln ihren Klienten den Kontakt zu den mit ihrer Organisation kooperierenden Partnern, wozu verschiedene Berufsgruppen zählen: Ärzte, Therapeuten, Hebammen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Übersetzer, Pharmazeuten sowie Laboranten, die sich bereit erklärt haben, kostengünstige bzw. -freie und vertrauliche Leistungen durchzuführen.
Finanzierung
Das Prinzip der Medinetze basiert hauptsächlich auf ehrenamtlicher Arbeit. Für höhere Kosten sind die Vereine auf private Spendenmittel angewiesen.
Rechtliche Grundlage
Laut § 87 "Übermittlung an Ausländerbehörden" des Aufenthaltsgesetzes sind öffentliche Stellen, also beispielsweise das Sozialamt, dazu verpflichtet, illegal in Deutschland lebende Menschen zu melden. Dieser Paragraph greift nicht für gesundheitliche Einrichtungen. Somit sind Ärzte nicht gesetzlich zur Meldung verpflichtet und durch ihre ärztliche Schweigepflicht zur Verschwiegenheit auch gegenüber staatlichen Stellen verpflichtet.
Der § 96 des Aufenthaltsgesetzes beschäftigt sich mit der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt in Deutschland. Er bezieht sich jedoch nur auf Einreise und Unterkunft von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus und beinhaltet nicht die medizinische Versorgung dieser Menschen. Deshalb machen sich Ärzte bzw. Ärztinnen und andere mit Medinetzen kooperierende Heilberufler nicht strafbar.