Deutung (Psychotherapie)
Synonym: Interpretation
Englisch: interpretation
Definition
Die Deutung ist eine zentrale psychotherapeutische Intervention, insbesondere in der psychodynamischen Therapie. Sie bezeichnet den Versuch des Therapeuten, dem Patienten unbewusste Bedeutungen seiner Gedanken, Gefühle, Handlungen oder Symptome verständlich zu machen.
Hintergrund
Im psychodynamischen Ansatz geht man davon aus, dass psychische Symptome oft durch unbewusste Konflikte oder früh gelernte Beziehungsmuster entstehen. Diese werden im therapeutischen Prozess z.B. in Form von Übertragung, im freien Sprechen oder durch sich wiederholende Beziehungsmuster sichtbar.
Die Deutung hilft dem Patienten, Zugang zu diesen unbewussten Anteilen zu bekommen. Sie soll das Verständnis für innere Vorgänge vertiefen und die emotionale Verarbeitung anstoßen. So unterstützt sie die Veränderung ungünstiger innerer Muster und lindert Symptome.
Abgrenzung
Im Unterschied zu anderen therapeutischen Interventionen wie dem Spiegeln oder der Konfrontation geht die Deutung über die Beschreibung oder Benennung hinaus. Sie stellt einen inneren Zusammenhang her, der dem Patienten bislang nicht bewusst war, etwa zwischen aktuellen Konflikten und früheren Beziehungserfahrungen.
Voraussetzungen
Deutungen sind nur dann hilfreich, wenn der Patient sie auch emotional nachvollziehen kann – also kurz davor ist, den Zusammenhang selbst zu erkennen. Zu frühe Deutungen bringen keinen therapeutischen Nutzen, sondern führen eher zu Widerstand.
Deutungsinhalte
Eine bewährte Regel (nach Kuiper) zur Reihenfolge der Inhalte bei einer Deutung lautet: dass, wie, was. Das bedeutet: Zuerst sollte dem Patienten deutlich werden, dass er etwas verdrängt; dann, wie er es verdrängt; und schließlich, was genau verdrängt wurde.
Die Sprache der Deutung muss zur Gedankenwelt des jeweiligen Patienten passen. Fachbegriffe sollten vermieden werden, da es nicht um reines Wissen, sondern um persönliches Verstehen geht.
Klinische Relevanz
Empirische Untersuchungen zeigen, dass Deutungen besonders dann wirksam sind, wenn sie an den emotionalen Gehalt der therapeutischen Situation anknüpfen und in einen bestehenden Verständigungsprozess eingebettet sind. Ihre Wirkung ist eng mit der Qualität der therapeutischen Beziehung verknüpft.
Kritik
- Suggestivität: Es besteht die Gefahr, dass der Therapeut eigene Deutungsmuster überstülpt.
- Fehlinterpretation: Unzutreffende Deutungen können Widerstand oder Therapieabbruch begünstigen.
- Überforderung: Zu frühe oder konfrontative Deutungen können destabilisieren.
Beispiel
Ein Patient beschreibt wiederholt das Gefühl, von anderen übersehen und nicht ernst genommen zu werden. Eine mögliche Deutung könnte lauten: "Es wirkt, als ob Ihnen dieses Gefühl sehr vertraut ist – vielleicht weil Sie es schon früh erlebt haben, in einer Zeit, in der Ihre Bedürfnisse wenig Beachtung fanden?"
Literatur
- Wöller und Kruse, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Theorie und Praxis, Schattauer, 2016
- Gabbard, Psychodynamische Psychiatrie, 4. Auflage, Schattauer, 2017
- Tölle und Windgassen, Psychiatrie, 17. Auflage, Springer, 2014