Stottermodifikation
Englisch: stuttering modification
Definition
Die Stottermodifikation ist ein symptomorientierter, lokaler Therapieansatz zur Behandlung des Stotterns. Ziel ist nicht, das Stottern vollständig zu eliminieren, sondern es bewusst zu verändern und zu "entschärfen". Der Fokus liegt auf den unflüssigen Anteilen des Sprechens, die in großer Nähe zum Stotterereignis bearbeitet werden. Das Grundprinzip lautet: "Nicht vermeiden, Stottern zeigen" (Non-Avoidance-Ansatz).
Hintergrund
Die Stottermodifikation gehört zu den sprechbegleitenden Therapiekonzepten und geht auf den amerikanischen Sprachtherapeuten Charles Van Riper zurück. Sie entstand als Alternative zu Fluency-Shaping-Ansätzen, die auf einen künstlich geformten, möglichst störungsfreien Sprechfluss abzielen. Die Grundidee ist, dass Stottern nicht vollständig eliminiert werden muss, um kommunikativ erfolgreich und entspannt zu sprechen. Entscheidend ist dabei, den psychischen Druck zu verringern.
Therapiephasen
Identifikationsphase
Der Grundsatz der Identifikationsphase lautet: "Man kann nur verändern, was man kennt." Es geht darum, das Stottergefühl möglichst früh wahrzunehmen, um gezielt darauf reagieren zu können. Dazu gehört die genaue Analyse sowohl des Kern- als auch des Begleitverhaltens, um im weiteren Verlauf die Sekundärsymptomatik abbauen zu können.
Die Betroffenen lernen, ihre eigenen Stottermuster bewusst wahrzunehmen, zu imitieren, zu beschreiben und schließlich zu akzeptieren. Unterstützt wird dieser Prozess durch einen sprechphysiologischen Kurs und umfassende Informationen über das Stottern.
Ein weiterer Bestandteil ist die Unterscheidung zwischen leichten und schweren Stotterereignissen. Darüber hinaus werden Aufschub- und Vermeidungsverhalten erkannt sowie sprachliche Auslöser und situative Muster erfasst, um ein vollständiges Bild der individuellen Stottersymptomatik zu gewinnen.
Desensibilisierungsphase
Ziel der Desensibilisierungsphase ist es, negative Gefühle in Bezug auf das Stottern zu verändern und Angst, Scham sowie Vermeidungsverhalten abzubauen. Das zentrale Prinzip lautet: "Selbstbewusst stottern". Um dies zu erreichen, kommen verschiedene Methoden zum Einsatz.
Beim Pseudostottern wird Stottern bewusst imitiert, um eine motorische Desensibilisierung zu erreichen und die körperlichen Empfindungen während einer Blockade besser kennenzulernen.
Das Nettostottern zielt darauf ab, ohne Begleitsymptome zu sprechen, ohne sprachliches Vermeiden, Blickabwendung, zeitliche Aufschübe oder übermäßige Anstrengung.
In der Konfrontationstherapie werden herausfordernde Sprechsituationen hergestellt, um sich an die Reaktionen der Zuhörer zu gewöhnen und den eigenen Selbstwert zu erhalten.
Modifikationsphase
In der Modifikationsphase geht es darum, Blockierungen beim Sprechen entweder von Anfang an zu verhindern oder, falls sie auftreten, möglichst schnell zu überwinden. Dazu werden u.a. die folgenden Techniken angewendet.
Das Zeitlupensprechen bildet die Grundlage aller weiteren Methoden. Hierbei wird die Artikulation bewusst kontrolliert, der Stimmeinsatz bei Vokalen gezielt gesteuert und die Bewegungsgeschwindigkeit der Mundöffnung reduziert.
Mit der Prolongation werden Laute gedehnt und weich gebildet, um das Entstehen von Blockaden frühzeitig zu verhindern.
Beim Pull-out wird eine bestehende Blockierung wahrgenommen, im Block "eingefroren", die muskuläre Spannung bewusst abgebaut und anschließend das Sprechen mit einer Prolongation wieder aufgenommen.
In der Nachbesserung wird ein gestottertes Wort nach einer kurzen Pause kontrolliert erneut angesetzt, wodurch Sprechtechnik und Desensibilisierung gemeinsam gefestigt werden.
Stabilisierungsphase
In der Stabilisierungsphase geht es darum, die gelernten Techniken langfristig in den Alltag zu übernehmen. Die Betroffenen lernen, sich selbst zu therapieren und schwierige Sprechsituationen eigenständig zu bewältigen. Außerdem werden Nachbesserungen durchgeführt und die Desensibilisierung weiter vertieft. Geübt wird auch das Sprechen unter bewusster Kontrolle der Körperwahrnehmung.
Die Therapie wird individuell an die Ziele und Bedürfnisse der Person angepasst. Zum Abschluss wird ein Notfallplan erstellt, zum Beispiel in Form eines Videos, das in schwierigen Situationen als Orientierung dient.
Literatur
- Ochsenkühn et al. Stottern bei Kindern und Jugendlichen: Bausteine einer mehrdimensionalen Therapie. Springer-Verlag. 2014
- Natke und Kohmäscher. Stottern: wissenschaftliche Erkenntnisse und evidenzbasierte Therapie. Springer-Verlag. 2020