Nocebo-Effekt
von lateinisch: nocere - schaden
Definition
Nocebo-Effekte sind negative Wirkungen, die bei Patienten im Rahmen einer therapeutischen Intervention auftreten, (z.B. nach der Gabe eines Arzneimittels), ohne dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Intervention und der Wirkung besteht.[1][2]
Das Gegenteil des Nocebo-Effekts ist der Placebo-Effekt.
Entstehung
Der Nocebo-Effekt beruht auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren. Dazu zählen unter anderem konditionierte Erfahrungen, therapeutische Rituale und die Behandlungssituation. Eine zentrale Rolle spielt die Erwartungshaltung des Patienten.[2][3]
Diese Erwartung wird unter anderem durch frühere Erfahrungen und durch die Qualität der Arzt-Patienten-Interaktion geprägt.[4] Negative Erfahrungen in der Vergangenheit können dazu führen, dass Patienten verstärkt mit Risiken oder Komplikationen rechnen. Diese Antizipation begünstigt Beschwerden, die unabhängig von der eigentlichen Wirkung der Intervention auftreten. Sie tragen dann zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bzw. zum Auftreten von Nebenwirkungen bei.[5]
Physiologie
Nocebo-Effekte sind nicht rein subjektiv, sondern können auch physiologisch messbar sein. Erwartungseffekte können sich in konkreten körperlichen Reaktionen äußern, die den erwarteten Symptomen entsprechen – im Extremfall bis hin zu bildmorphologisch nachweisbaren Veränderungen.[1]
Bei noceboinduzierter Hyperalgesie werden dieselben Schmerzareale im Gehirn aktiviert wie bei echtem, physisch induziertem Schmerz. Das Gehirn unterscheidet demnach nicht zwischen tatsächlichem und erwartungsbasiertem Schmerz – beide werden als real empfunden.[1][2]
Die schmerzverstärkende Wirkung von Nocebos wird über die Wirkung von Cholecystokinin (CCK) erklärt, da die Gabe von CCK-Antagonisten in Studien den Nocebo-Effekt unterbrechen konnte.
Auswirkungen
Nocebo-Effekte können vielfältige Auswirkungen haben und umfassen, z.B.:
- Zunahme von subjektiv empfundenen Nebenwirkungen, z.B. Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit – ohne direkte pharmakologische Ursache[5][6]
- Verstärkung bestehender Symptome, z.B. Hyperalgesie, Atemnot, Schlafstörungen[5]
- verringerte Wirksamkeit von therapeutischen Maßnahmen durch negative Erwartungshaltung oder Misstrauen[5][6]
- beeinträchtigte Adhärenz und Therapieabbrüche, z.B. Absetzen notwendiger Medikamente, Vermeidung medizinischer Interventionen[7]
- verzögerte oder verweigerte Behandlungen aus Angst vor Nebenwirkungen oder Misstrauen gegenüber ärztlicher Empfehlung[7]
- psychische Belastungen wie erhöhte Angst, Misstrauen, depressive Verstimmungen
- häufigere Arztkontakte und übermäßiger Medikamentengebrauch trotz fehlender objektiver Indikation
- erhöhte Gesundheitskosten durch Überdiagnostik oder unnötige Folgebehandlungen[8][9]
- verlängerte Genesungsprozesse und schlechtere Prognosen
Sehr selten kann auch eine vitale Gefährdung auftreten, z.B. durch kardiale Ereignisse, wenn die Erwartungsangst körperliche Stressreaktionen auslöst.[10][11]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Colloca L, Barsky AJ (2020) Placebo and nocebo effects. N Engl J Med. 382(6):554–561. DOI: 10.1056/NEJMra1907805.
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Häuser W, Hansen E, Enck P (2012) Nocebophänomene in der Medizin: Bedeutung im klinischen Alltag. Dtsch Arztebl 109(26):459–466. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0459.
- ↑ Benedetti F (2013) Placebo and the new physiology of the doctor-patient relationship. Physiol Rev. 93(3):1207–1246. https://doi.org/10.1152/physrev.00043.2012.
- ↑ Yetman HE, Cox N, Adler SR, Hall KT, Stone VE (2021) What Do Placebo and Nocebo Effects Have to Do With Health Equity? The Hidden Toll of Nocebo Effects on Racial and Ethnic Minority Patients in Clinical Care. Front. Psychol. 12: 788230. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.788230.
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- ↑ Lown B (2004) Die verlorene Kunst des Heilens: Anstiftung zum Umdenken. 2. Aufl., Schattauer Verlag, Stuttgart.