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FlexiEssay: Entzündliche Depression

Dr. Christiane Licht
Arzt | Ärztin
Simon Schuckel
DocCheck Team
Amara Hamzaoui
Student/in der Humanmedizin
Dr. Christiane Licht, Simon Schuckel + 1

Dieser Text ein so genannter FlexiEssay. So nennen wir Texte, die keinen lexikalischen Inhalt haben. FlexiEssays geben die persönliche Einschätzung des Autors wieder. Sie werden von uns nicht inhaltlich überprüft. Wie bei allen anderen Texten gilt: Lies dir den Artikel kritisch durch, vergleiche ihn mit anderen Publikationen und bilde dir eine eigene Meinung.

Entzündungshemmung als Antidepressivum – Hoffnung oder Hype?

In den letzten Jahren berichten mehr und mehr Studien über „entzündliche Depressionen“. Es wird überwiegend von auffällig gehäuften Zusammenhängen zwischen Depressionen und veränderten Entzündungswerten berichtet. Die Veröffentlichungen geben Anlass dazu, dass die Depression vielleicht doch mehr eine entzündliche Erkrankung ist, als bisher angenommen. Aber was meint der Begriff der entzündlichen Depression eigentlich genau, und müssen die bestehenden Therapieoptionen auf anti-entzündliche Medikamente jetzt ausgeweitet werden?

Was ist eigentlich eine entzündliche Depression?

Der Begriff der „entzündlichen Depression“ beschreibt eine Unterform der Major Depression, bei der eine pathologisch erhöhte Aktivierung des Immunsystems vorliegt. Charakteristisch sind erhöhte Werte spezifischer peripherer Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP), Interleukin-6 (IL-6), Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α) und Interleukin-1β (IL-1β).[1]

Interessant ist, dass etwa ein Viertel der Patienten mit depressiver Symptomatik genau solche Auffälligkeiten aufweisen sollen, die mit einer verstärkten Ausprägung von Motivationsverlust, Appetit- und Schlafstörungen, kognitiven Problemen und metabolischen Veränderungen einhergehen können.[2]

Der Begriff der „entzündlichen Depression“ ist bislang aber kein offizieller Diagnosebegriff in den gängigen Klassifikationssystemen wie DSM-5 oder ICD-11, sondern ein reiner Forschungsbegriff, der zur besseren Charakterisierung und gezielteren Behandlung dieser Patientengruppe verwendet wird, hat jedoch noch keinen offiziellen Krankheitsstatus.[3]

Studienlage

Bisher haben mehr als 9000 Studien die Rolle des Immunsystems bei Depressionen untersucht.[4] Die Ergebnisse von großangelegten Metaanalysen haben hierbei eine Erhöhung der durchschnittlichen Konzentrationen inflammatorischer Biomarker im peripheren Blut bestätigt, darunter Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukin-1 Beta (IL-1β), IL-6 und das Akutphasenprotein C-reaktives Protein (CRP), bei Patientinnen mit Depression im Vergleich zu Kontrollpersonen.[5]

So sind beispielsweise erhöhte CRP-Werte im peripheren Blut auch in großen Populationen nachweisbar – selbst wenn relevante Kovariaten wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Body-Mass-Index und Rauchgewohnheiten berücksichtigt werden.[6]

Hinweise auf verstärkte Entzündung finden sich auch in postmortalen Gehirnproben depressiver Patientinnen, einschließlich erhöhter Mengen inflammatorischer Signalmoleküle im Hirngewebe sowie das Vorhandensein von Makrophagen und aktivierten Mikroglia (den Immunzellen des Gehirns), wie auch von erhöhten Entzündungsmarkern im Liquor.[7]

Man hat in den letzten jahren ebenfalls unetrsucht, ob höhere Entzündungswerte an sich auch das Risiko für die Entwicklung einer de-novo-Depression zu erhöhen scheinen.[8]

Studien, in denen gesunden Probanden durch Endotoxininfusionen eine Zytokinfreisetzung provoziert wurde, zeigten sich anschließend auch klassische depressive Symptome.[9][10]

Aber auch die Gabe exogener Zytokine kann die typischen phänotypischen Verhaltens- und kognitiven Merkmale der Depression verursachen. Beispielsweise entwickelten in Menschen, die Interferon zur Behandlung der Hepatitis C erhalten hatten, die klassischen Symptome einer neu entstandenen Major Depression.[11]

Interessanterweise üben aber auch die oft verschriebenen Antidepressiva, insbesondere die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), wiederum negative immunregulatorische Effekte aus, indem sie die Produktion proinflammatorischer Zytokine – beispielsweise Tumornekrosefaktor (TNF)α und Interleukin (IL)-1 sowie T-Zell-Zytokinen wie Interferon (IFN)γ – verringern und die von antiinflammatorischen Zytokinen wie IL-10 erhöhen.[12]

Entzündungshemmer anstatt Psychotherapie?

Entzündliche Prozesse sind weder notwendige noch hinreichende Voraussetzung für das Auftreten einer Depression. Die Studiendaten verhärten aber zunehmend die inflammatorischen Auffälligkeiten in bestimmten Subgruppen der Depression, was in Zukunft keinesfalls unbeachtet gelassen werden sollte.

So könnte die Behandlung der „entzündlichen Depression“ in Zukunft klinisch deutlich besser auf anti-inflammatorische Medikamente ansprechen, als auf herkömmliche Antidepressiva.

In den nächsten Jahren erwarten wir daher mit Spannung die Ergebnisse der aktuell laufenden ASPIRE-Studie (Advanced Stratification of People with Depression Based on Inflammation).[13]

Hier werden Daten zum C-reaktiven Protein von depressiven Patienten zusammengetragen, die die Wirksamkeit von Anti-Entzündungsmedikamenten vorhersagen können.

Ein differenziertes Verständnis von Immunmarkern könnte den Weg zu maßgeschneiderten Behandlungen ebnen.

Wir dürfen also gespannt sein, ob dieser ambitionierte inflammatorische Ansatz die personalisierte Medizin in der Psychiatrie voranbringen kann.

Entwickelte Biomarker-Panels könnten zukünftig helfen, Betroffene gezielt für innovative antientzündliche Therapieansätze zu identifizieren.

Belege

  1. Vanicek T.; Michenthaler P.; Kautzky A.; Reiter B.; Fellinger M.; Bartova L.; Schoepe A.; Kasper S.; Lanzenberger R.: The impact of inflammation on treatment response in depression: A systematic review.. J Affect Disord. 2023 Aug 1;331:454-467. doi: 10.1016/j.jad.2023.05.016.
  2. Ziewp J.C. et al.: Depression with immuno-metabolic dysregulation: Testing pragmatic criteria to stratify patients. Brain, Behavior, and Immunity. 2024; doi: 10.1016/j.bbi.2024.11.033.
  3. Poggi W.; Sensi S.: Inflammatory biomarkers in depression: scoping review. BJPsych Open. 2024;10(4):e151. doi: 10.1192/bjo.2024.151.
  4. Troubat R. et al.: Neuroinflammation and depression: A review. Eur J Neurosci. 2021 Jan;53(1):151-171. doi: 10.1111/ejn.14720.
  5. Xiaowei J. et al.: Association between systemic inflammatory markers and depression: A meta-analysis. General Hospital Psychiatry. 2025;85:123-130. doi: 10.1016/j.genhosppsych.2025.07.005.
  6. Miller A.H.: Advancing an Inflammatory Subtype of Major Depression. Am J Psychiatry. 2024;181(9):701-704. PMCID: PMC12282100. NIHMSID: NIHMS2094510. PMID: 40329642.
  7. Pandey G.N., Rizavi H.S., Ren X., Bhaumik R., Dwivedi Y.: Toll-like receptors in the depressed and suicide brain. J Psychiatr Res. 2014 Jun;53:62-68. Epub 2014 Feb 11. PMID: 24565447; PMCID: PMC4004369.
  8. Scassellati C. et al.:Inflammation and depression: A study protocol to dissect pathogenetic mechanisms in the onset, comorbidity and treatment response. Front Psychiatry. 2024;15:11582470. PMID: 39583163; PMCID: PMC11582470.
  9. Paganin W.; Signorini S.: Inflammatory biomarkers in depression: scoping review. BJPsych Open. 2024 Sep 30;10(5):e165. PMID: 39343996; PMCID: PMC11536280.
  10. Irwin M.R.; Boyle C.C.; Cho J.H.; et al.: Inflammatory Exposure and Depression in Older Adults With Insomnia: A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2025;82(9):859-867. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2025.1327.
  11. Hu P.-J. et al.: Long-term risk of depression and the impact of risk factors among chronic hepatitis C patients after successful antiviral therapy: A nationwide real-world Taiwanese cohort (T-COACH). J Formos Med Assoc. 2025. doi: 10.1016/j.jfma.2025.05.039.
  12. Calder P.C.: Diet modulates the immune system and risk of infection in older adults. Nutrition Research Reviews. 2025;S0929664625002694. doi: 10.1017/S0929664625002694.
  13. Pariante C. et al.: ASPIRE: Advanced Stratification of People with Depression. Wellcome Mental Health Award, 2024.
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