nach dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger (1906-1980)
Englisch: Asperger's syndrome
Das Asperger-Syndrom ist eine in der Regel ab dem dritten Lebensjahr auftretende Form des Autismus ohne Sprachentwicklungsverzögerung und ohne Intelligenzminderung.
Nach DSM-5 und ICD-11 wird das Asperger-Syndrom den Autismus-Spektrum-Störungen zugeordnet. Es handelt sich um eine Entwicklungsstörung, die bereits von Geburt an besteht, aber durch eine relativ normale Sprach- und Intelligenzentwicklung gekennzeichnet ist. Ob es sich beim Asperger-Syndrom um eine Krankheit oder ein Syndrom ohne Krankheitswert handelt, ist umstritten.
Verlässliche Zahlen für das Asperger-Syndrom existieren nicht, weil es keine allgemein anerkannten Diagnosekriterien gibt. Verschiedene Studien geben eine Häufigkeit von
Das bedeutet, dass statistisch betrachtet etwa 16 bis 27 Personen pro 10.000 Einwohner vom Asperger-Syndrom betroffen sein können. Repräsentative Untersuchungen zur Häufigkeit des Asperger-Syndroms im Erwachsenenalter liegen jedoch zur Zeit (2019) noch nicht vor.
In den 1990er Jahren galt beim Asperger-Syndrom ein Geschlechter-Verhältnis (m/w) von 8:1. Später wurde ein Verhältnis von 4:1 angegeben. Derzeit (2019) geht man von einem Verhältnis von etwa 3:1 aus. Diese variablen Verteilungsangaben werden teilweise darin vermutet, dass das Asperger-Syndrom bei Frauen schwerer zu diagnostizieren ist als bei Männern. Bisherige Studien und die diagnostischen Kriterien zur Diagnostik seien primär auf Männer ausgerichtet gewesen. Das Asperger-Syndrom wurde aufgrund der meist besseren Kompensationsfähigkeit nach außen und der nicht so offensichtlich ausgeprägten autistischen Kernsymptomatik bei Frauen häufiger übersehen.
Die genauen Ursachen des Asperper-Syndroms sind zur Zeit (März 2019) weitgehend unklar und Gegenstand der Grundlagenforschung. Es gelte heute (November 2019) als „gesichert“, dass ASS durch genetische Faktoren bedingt werden. (Ursachen von Autismus-Spektrum-Störungen, eine Spurensuche; Hans-Ulrich Bernard; W.Kohlhammer GmbH; 2017). Bei der Vererbung des „Asperger-Syndroms“ handelt es sich meist um die väterliche Linie, die den Phänotyp weiter gibt. Das Asperger-Syndrom ist multigenetisch determiniert. 15% aller Autismus-Spektrum-Störungen seien verschiedenen genetischen De-Novo Mutationen und De-Novo Genkopiepolymorphismen zuzuordnen (DSM-5, 2.Auflage 2018).
Eine Auslösung durch verschiedene Teratogene (z.B. Pestizide) in der Frühschwangerschaft wird diskutiert, es fehlen jedoch konkrete wissenschaftliche Belege. Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Valproinsäure eingenommen haben, zeigen eine erhöhte Inzidenz von Autismus-Spektrum-Störungen.[1]
Als ein möglicher Pathomechanismus des Asperger-Syndroms wird eine abnorme Zellmigration in der frühen Phase der Gehirnentwicklung des Embryos angenommen, die zu einem veränderten Konnektom führt. Andere Theorien gehen davon aus, dass die mangelnden sozialen Fähigkeiten durch eine Fehlfunktion der so genannten Spiegelneuronen ausgelöst wird.
Das Asperger-Syndrom manifestiert sich meist nach dem 3. Lebensjahr. Das Symptombild ist sehr variantenreich, wobei das gemeinsame Hauptmerkmal eine Störung der sozialen Interaktion im Vergleich zu neurotypischen Menschen ist. Bei Menschen mit Asperger-Syndrom besteht eine andersartige Informations-und Reizverarbeitung. Dies führt unter anderem zu einer ungefilterten Aufnahme von Reizen aus dem Umfeld und nicht selten zu einer Reizüberflutung, dem so genannten Overload. Die Reizüberflutung kann so stark sein, dass sie zu einem Meltdown bzw. Shutdown führt.
Darüber hinaus ist die autistische Wahrnehmung der Umwelt durch das primär kognitive, vorurteilsfreie, lösungsorientierte und logikbasierte Denken geprägt.
Da jeder Mensch autistische Wesenszüge hat, ist eine klare Abgrenzung des Asperger-Syndroms häufig schwierig. Die Symptome können im Einzelfall so gering ausgeprägt sein, dass sie als "normal" gelten. Mögliche Symptome sind u.a.:
Einzelne Symptome werden häufig überbewertet. Dass ein Kind sein Spielzeug auf eine bestimmte Art anordnet, muss nicht auf autistische Züge oder Autismus hinweisen. Ebenso bedeutet eine hohe Rechenfähigkeit im Vorschulalter nicht, dass ein Kind das Asperger-Syndrom hat oder gar hochbegabt ist. Die Symptome sollten daher von erfahrenen Spezialisten bewertet werden.
Das Asperger-Syndrom wird auch "unsichtbarer Autismus" genannt, weil das Syndrom bei betroffenen erwachsenen Menschen nicht sofort sichtbar wird. Sie haben gelernt, ihre Einschränkungen erfolgreich vor anderen Menschen zu verstecken. Dennoch können auch nach außen hin "normal" erscheinende Erwachsene mit dem Asperger-Syndrom massiv unter ihrem Alltag und diversen Situationen leiden - vor allem an Ausgrenzung und Feindseligkeit der Umwelt.
Die Diagnostik des Asperger-Syndroms ist komplex und erfordert ein interdisziplinäres Vorgehen, das die Bewertung genetischer, neurologischer, psychomotorischer, kognitiver und sozialer Faktoren einbezieht und das Kind in verschiedenen Situationen in Bezug auf sein Verhalten, seine Interessen, seine Aktivitäten und seine Alltagskompetenz bewertet.
Meist wird die Diagnose in einem Alter zwischen 4 und 11 Jahren gestellt. Mögliche Diagnosekriterien wurden u.a. von Gillberg und Szatmari vorgeschlagen.
Als Screening-Verfahren sind einsetzbar:
Für eine weitere Diagnosesicherung stehen folgende strukturierte Interviewverfahren zur Verfügung:
Bekannte Probleme bei der Diagnostik des Asperger-Syndroms sind Unterdiagnostik, Überdiagnostik und Fehldiagnosen, die für das Kind ebenso traumatisch sein können wie für die Familien.
Zu den möglichen Differentialdiagnosen gehören:
Da die genauen Ursachen des Asperger-Syndroms unbekannt sind, gibt es zur Zeit (2018) keine kausale Therapie. Die sozialen Fähigkeiten können durch Training zumindest ausgebaut werden. In Europa existieren in größeren Städten zudem diverse Selbsthilfegruppen für Menschen mit Asperger-Syndrom sowie eine Reihe von Foren. Der Austausch von Betroffenen untereinander kann sehr hilfreich sein.
In den letzten 10 bis 15 Jahren ist zu beobachten, dass sich das Asperger-Syndrom zu einer Art "Modediagnose" entwickelt hat. Ein Beispiel ist der Physiker Sheldon Cooper aus der Serie "The Big Bang Theory", der witzig und reizvoll dargestellt wird. Diese Darstellung verharmlost jedoch die Auswirkungen des Asperger-Syndroms für die wirklich Betroffenen stark.
Fachgebiete: Genetik, Kinderheilkunde, Neurologie, Psychiatrie
Diese Seite wurde zuletzt am 12. November 2019 um 20:11 Uhr bearbeitet.
Um diesen Artikel zu kommentieren, melde Dich bitte an.