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* [[ICD10]]-Code: J80.- | * [[ICD10]]-Code: J80.- |
Synonyme: Atemnotsyndrom des Erwachsenen, Schocklunge, akutes Lungenversagen, akutes Atemnotsyndrom, akute Lungenschädigung
Englisch: acute respiratory distress syndrome, shock lung
Das Acute Respiratory Distress Syndrome, kurz ARDS, beschreibt ein polyätiologisches Krankheitsbild, das durch einen diffusen Alveolarschaden und eine akute respiratorische Insuffizienz gekennzeichnet ist. Die akute Lungenschädigung ist häufig mit einem Multiorganversagen im Rahmen eines SIRS assoziiert und weist eine sehr hohe Mortalität auf.
Nach der Berliner Definition[1] liegt ein ARDS vor, wenn folgende Kriterien zutreffen:
Ein ARDS tritt mit einer Inzidenz von ca. 7/100.000 Einwohner pro Jahr auf.[2][3]
Die Berliner Definition unterscheidet drei Schweregrade des ARDS abhängig vom Ausmaß der Hypoxämie:
Eine weitere Unterteilung der Schwergrade bietet der Lung Injury Score nach Murray.
Ein ARDS kann im Rahmen einer systemischen Reaktion des Organismus oder auch durch eine direkte Lungenschädigung entstehen.
Die häufigste Ursache ist eine Pneumonie. Weitere pulmonale Ursachen sind unter anderem:
Zu den systemischen Ursachen zählen:
Die Pathophysiologie eines ARDS ist für die meisten Auslöser gleich. Sie läuft in mehreren Stadien ab. Es handelt sich dabei um eine "überzogene" Entzündungsreaktion des Lungengewebes, die den Krankheitsprozess induziert und im Sinne einer pathologischen Reaktionskaskade aufrechterhält.
Als Reaktion auf die auslösende Noxe kommt es zur Inflammation, wobei insbesondere Granulozyten proinflammatorische und prokoagulatorische Mediatoren freisetzen. Durch Zytokine und Sauerstoffradikale kommt es zu einer Störung der Endothelfunktion. Dies führt zu einer erhöhten alveolo-kapillären Permeabilität mit Durchtritt proteinreicher Flüssigkeit und zu einem interstitiellen Lungenödem.
Unter dem Einfluss von Entzündungsmediatoren kommt es zu einem ausgeprägten Kapillarschaden ("capillary leak") mit Ausbildung eines alveolären Ödems. Die Folge ist eine Verlängerung der Diffusionsstrecke und Verkleinerung der Gasaustauschfläche mit gestörtem Gasaustausch (Hypoxämie).
Durch Untergang von Typ-II-Pneumozyten und Inaktivierung von Surfactant durch Plasmaproteine entsteht ein Surfactant-Mangel. Die Folge ist eine verminderte Alveolarstabilität mit Atelektasenbildung und weiterer Verschlechterung der Belüftung. Atelektasen führen zu einer Abnahme der funktionellen Residualkapazität und Vergrößeruing des funktionellen Totraumvolumens. Die Perfusion nicht-ventilierter Lungenabschnitte erhöht das intrapulmonale Rechts-Links-Shuntvolumen.
Die Hypoxämie führt außerdem zur pulmonalen hypoxischen Vasokonstriktion. Dies bedingt zusammen mit Mikrothromben eine pulmonalarterielle Druckerhöhung mit Rechtsherzbelastung.
Verläuft ein ARDS in diesem Stadium nicht tödlich, kommt es zu Ausheilungsbemühungen des Organimus. Dabei werden geschädigte Pneumozyten durch die Proliferation von Fibroblasten und Endothelzellen zunehmend durch Bindegewebe ersetzt. Es kommt zur Bildung von hyalinen Membranen, welche die Alveolarwände tapetenartig auskleiden. Durch die Fibrosierung kann das bestehende Ödem nicht resorbiert werden und die Ödembildung wird verstärkt. Die inflammatorischen Reaktionen führen zu weiterer Schädigung und es entsteht ein Circulus vitiosus.
Dadurch bleibt die Oxygenierung dauerhaft eingeschränkt, da die Diffusionsstrecke zwischen Blut und Luft größer wird. Eine Restitutio ad integrum ist in manchen Fällen beschrieben, jedoch für den Großteil der Fälle nicht zu erwarten, sodass von einer bleibenden respiratorischen Insuffizienz ausgegangen werden kann.
Entsprechend des pathophysiologischen Verlaufs unterscheidet man vereinfacht zwischen drei Phasen:
Phase | Zeitraum | Makroskopie | Mikroskopie |
---|---|---|---|
Exsudative bzw. inflammatorische Phase | Tag 1-7 |
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Frühe proliferative Phase | ab Tag 3 |
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Späte proliferative bzw. fibrotische Phase | ab Tag 7 |
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Klinisch unterscheidet man ebenfalls drei Stadien:
Stadium | Zeitraum | Befunde |
---|---|---|
Stadium 1 | 12-24 Stunden nach Auslöser |
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Stadium 2 | innerhalb ersten 7 Tage |
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Stadium 3 | nach ca. 7 Tagen |
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Je nach Auslöser finden sich weitere Symptome, z.B. Hypothermie oder Fieber. Als Komplikation kann durch eine Hypoxie weiterer Organe ein Multiorganversagen entstehen. Durch die Lungenschädigung ist mit dem Auftreten einer Pneumonie zu rechnen, welche unter diesen Bedingungen leicht in eine Sepsis münden kann.
Ein ARDS ist zu diagnostizieren bei:
In der Blutgasanalyse (BGA) manifestiert sich der Beginn eines ARDS in Form einer respiratorischen Partialinsuffizienz:
In der Spätphase des ARDS zeigt die BGA eine schwere respiratorische Globalinsuffizienz:
Die alveolo-arterielle Sauerstoffpartialdruckdifferenz (AaDO2), also die Differenz zwischen pO2 in den Alveolen (PAO2) und pO2 im arteriellen Blut (paO2), ist ein Maß für die Fähigkeit der Lunge, Sauerstoff aus der Alveolarluft ins Blut zu befördern. Sie dient als Indikator für eine Gasaustauschstörung und als Maß eines intrapulmonalen Rechts-Links-Shunts.
Die AaDO2 kann vereinfacht durch folgende Formel berechnet werden:
Der Normbereich beträgt unter Raumluft 10-20 mmHg, bei einer FiO2 von 1,0 liegt er zwischen 25-65 mmHg.
Im Röntgen-Thorax zeigen sich in der Frühphase folgende Befunde:
In der Spätphase finden sich weitere Zeichen:
Die Echokardiographie dient dem Ausschluss eines kardialen Lungenödems. Bei einem ARDS zeigen sich typischerweise folgende Befunde:
Mit Hilfe eines Pulmonaliskatheter kann der Pulmonalarteriendruck und der Wedge-Druck bestimmt werden. Dies ermöglicht eine Differenzierung zwischen ARDS und kardialem Lungenödem. Die Untersuchung erfolgt inzwischen nur unter strenger Risiko-Nutzen-Abwägung.
Während sich eine Erhöhung des pulmonal-arteriellen Mitteldrucks (mPAP) sowohl beim kardialen Lungenödem als auch beim ARDS zeigen, ist der pulmonale Wedge-Druck (PCWP) beim ARDS nicht erhöht, sondern normal (Ausnahme: zusätzliche Linksherzinsuffizienz).
Die Bestimmung des extravaskulären Lungenwassers (EVLW), also der Flüssigkeit im Interstitium oder Alveolarraum, erfolgt mittels transpulmonaler Thermodilution. Das EVLW dient als Verlaufsparameter zur Beurteilung des Lungenödems.
Der Normwert beträgt 5 ml/kgKG, bei ARDS findet sich meist ein EVLW von > 15 ml/kgKG.
Als Differentialdiagnosen kommen vor allem folgende Erkrankungen in Frage:
Einige dieser Differentialdiagnosen können jedoch sekundär in ein ARDS übergehen.
Die Therapie erfolgt intensivmedizinisch. Ein ARDS kann innerhalb von wenigen Stunden zur respiratorischen Dekompensation führen. An erster Stelle sollte die auslösende Ursache therapiert werden. Außerdem sollte eine maschinelle Beatmung frühzeitig eingesetzt werden.
Indikationen einer Beatmungstherapie sind:
Während bei einem milden ARDS noch eine nicht-invasive Beatmung (NIV) erwogen werden kann, ist in den meisten Fällen eine invasive Beatmung notwendig. Als Beatmungsmodus kann eine assistierte oder eine (druck-)kontrollierte Beatmung erwogen werden. In der Regel wird als Grundeinstellung der BIPAP-Modus gewählt. Dabei wird auf eine lungenprotektive Beatmung geachtet, um ventilationsbedingte Lungenschäden zu vermeiden:
Beatmungsparameter | Beschreibung |
---|---|
Kleines Atemhubvolumen |
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Atemfrequenz |
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Inspiratorische Druckdifferenz |
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Spitzendruck Pmax (auch als Ppeak oder Pinsp bezeichnet) |
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PEEP |
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Inspirationszeit/Expirationszeit (I:E) |
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FiO2 |
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Oxygenierungsziel |
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Permissive Hyperkapnie |
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Patienten mit erhöhtem Hirndruck stellen eine absolute Kontraindikation für eine permissive Hyperkapnie dar. Mögliche Therapieoptionen zur Vermeidung der Hyperkapnie bei gleichzeitiger Wahrung des lungenprotektiven Therapieansatzes sind die Hochfrequenzoszillation (HFO) und die extrakorporale Lungenunterstützung (ECLA) mit einer modifizierten Herz-Lungen-Maschine.
Beim ARDS kann sowohl eine Oberkörperhochlagerung als auch eine Bauchlagerung ("prone position") erwogen werden. Bei der Oberkörperhochlagerung wird die Oxygenierung verbessert, die Atemarbeit verringert sowie das Risiko eines gastroösophagealen Refluxes und eines erhöhten Hirndrucks vermindert. Sie ist grundsätzlich bei intubierten Patienten empfohlen.
Bei Bauchlagerung (Umlagerung um 180° oder in modifizierter Form um 135°) kommt es zur Verminderung des intraabdominellen Drucks und zur Zunahme der Compliance der Lunge. Außerdem nimmt in Bauchlage der Pleuradruck-Gradient ab, was zur homogeneren Atemgasverteilung führt. Des Weiteren verbessert sich die Perfusion in ventralen Lungenabschnitten. Daher führt die Bauchlagerung zur Vergrößerung der Gasaustauschfläche, zum verbesserten Gasaustausch und zu weniger beatmungsinduzierten Lungenschäden. Die Bauchlagerung für 16 Stunden ist ab einem Horovitz-Quotienten < 150 mmHg empfohlen. Nach einer vierstündigen Pause kann die erneute Umlagerung erwogen werden. Als relative Kontraindikationen gelten:
Komplikationen der Bauchlagerung sind:
Weitere supportive Maßnahmen beim ARDS sind:
Als sogenannte Rescue-Therapie können folgende Maßnahmen ergriffen werden:
Trotz adäquater Therapie ist die Letalität des ARDS hoch und beträgt etwa 55-70 %. Prognostisch entscheidend ist eine frühzeitige Diagnosestellung.
Fachgebiete: Anästhesiologie, Intensivmedizin
Diese Seite wurde zuletzt am 6. Mai 2020 um 13:55 Uhr bearbeitet.
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