Synonyme: Myeloproliferative Neoplasie (MPN), Chronische Myeloproliferative Erkrankung (CMPE), veraltet: Myeloproliferatives Syndrom (MPS)
Englisch: myeloproliferative neoplasm, myeloproliferative disease
Unter myeloproliferativen Erkrankungen, kurz MPE, versteht man eine Gruppe von malignen hämatologischen Erkrankungen, die durch klonale Proliferation einer myeloischen Stammzelle im Knochenmark entstehen.
Allen MPE ist folgendes gemeinsam:
Die aktuelle WHO-Klassifikation von 2016 (Stand 2019) umfasst sieben Erkrankungen.[1] Im Vergleich zur vorherigen Version von 2008 zählt die Mastozytose nicht mehr zu den MPE, sondern bildet eine eigene Entität.
Entität | ICD-10-Code |
---|---|
chronische myeloische Leukämie (CML), BCR-ABL-positiv | C92.1 |
Polycythaemia vera (PV) | D45 |
essentielle Thrombozythämie (ET) | D47.3 |
primäre Myelofibrose (PMF) | D47.4 |
chronische Neutrophilenleukämie (CNL) | C92.7 |
chronische eosinophile Leukämie, nicht anderweitig spezifiziert (CEL-NOS) | D47.5 |
unklassifizierbare myeloproliferative Neoplasien (MPN,U) | C94.6 |
Einige Erkrankungen besitzen hauptsächlich einen myeloischen Phänotyp (CML, CNL, CEL), bei anderen Erkrankungen (PV, ET, PMF) dominiert die Ausreifung in Richtung Erythropoese oder Megakaryopoese. Dabei können PV, ET und PMF auch ineinander übergehen.
siehe auch: Post-PV-Myelofibrose, Post-ET-Myelofibrose
Im Gegensatz zur MPE liegt bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) nach WHO-Definition ein Blastenanteil von mindestens 20 % im Knochenmark vor.
Die Abgrenzung zu einem myelodysplastischen Syndrom hingegen ist schwierig: Bei dieser Erkrankung liegt eine Ausreifungsstörung der Blutbildung vor, sodass Zytopenien entstehen. Bei den MPE steht eher die Proliferation einer oder mehrerer Zellreihen (auch im peripheren Blut) im Vordergrund. Die Übergänge sind jedoch fließend, erkennbar an der Gruppe von myeloproliferativen-myelodysplastischen Syndromen. Diese besitzen Charakteristika von beiden Erkrankungen. Dazu zählen:
Die genauen Auslöser sind aktuell (2020) noch unbekannt. Man vermutet, dass ionisierende Strahlung und chemische Noxen (z.B. Benzol, Alkylanzien) die Entstehung begünstigen können, in den meisten Fällen ist jedoch keine Ursache erkennbar.
Bei myeloproliferativen Erkrankungen ist das Alter ein wichtiger Risikofaktor. Ab einem Alter von 70 Jahren nimmt die klonale Hämatopoese zu. Man spricht in diesem Fall von einer klonalen Hämatopoese unbestimmtem Potentials ("clonal hematopoiesis of indeterminate potential"), kurz CHIP. Das Risiko dieser Personen, an einer MPE zu erkranken, ist etwa 11 bis 13-fach erhöht.
Bei einer MPE finden sich in den meisten Fällen charakteristische klonale Chromosomenaberrationen oder Treibermutationen. Vermutlich entsteht die MPE jedoch nicht auf Basis eines einzelnen Defekts, sondern durch einen mehrschrittigen Prozess. Zu den häufigsten DNA-Veränderungen gehören:
Häufige Symptome von myeloproliferativen Erkrankungen sind:
Der Krankheitsverlauf ist chronisch und die Schwere der Erkrankung nimmt im Lauf der Zeit zu (Progredienz). Übergänge in eine Blastenkrise (CML, CNL), in ein myelodysplastisches Syndrom (ET, PV) sowie in eine akute myeloische Leukämie (ET, PMF, CNL, PV) sind möglich.
Eine sichere Differenzierung der jeweiligen Entitäten ist wichtig für die Therapie. Sie ist allerdings in frühen Krankheitsstadien schwierig und eine eindeutige Zuordnung oft nicht möglich. Insbesondere zu Beginn kann eine anhaltende Thrombozytose bei allen Erkrankungen die Differenzialdiagnostik erschweren. Durch hämatologische, molekulargenetische, zytologische und histologische Untersuchungen kann die richtige Einordnung gelingen.
Anamnestisch sollte auf Vorliegen oben genannter Symptome geachtet werden.
Aufgrund einer Verdrängung der normalen Hämatopoese im Knochenmark kann es zur extramedullären Blutbildung kommen. Diese kann sich in der körperlichen Untersuchung als Splenomegalie und/oder Hepatomegalie manifestieren.
Eine Knochenmarkpunktion ist obligat, insbesondere zur Differenzierung zwischen ET und präfibrotischer PMF sowie zwischen JAK2-positiver ET und PV.
Die primären Therapieansätze sind meist palliativ. Die einzige kurative Möglichkeit besteht in einer allogenen Stammzelltransplantation, die in bestimmten Hochrisikokonstellationen erwogen wird. Symptomatisch wird versucht, das Risiko von arteriellen und venösen Thrombosen zu reduzieren. Dabei ist bei PV eine Aderlasstherapie die erste Wahl. Weitere Möglichkeiten sind ASS, Hydroxyurea, Anagrelid und Interferon-alpha.
Bei Vorliegen bestimmter Mutationen können Tyrosinkinasehemmer eingesetzt werden. Bei JAK2-Mutation sind Ruxolitinib, bei Vorliegen einer BCR-ABL-Translokation BCR-ABL-Inhibitoren wie Imatinib oder Nilotinib geeignet. Da diese Inhibitoren nicht auf Stammzellebene wirksam sind, kommt es nach Absetzen der Medikation in der Regel zu einem Rezidiv.
Tags: Leukämie
Fachgebiete: Hämatologie, Innere Medizin, Onkologie
Diese Seite wurde zuletzt am 8. Februar 2021 um 23:10 Uhr bearbeitet.
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