Metamizol
Synonym: Novaminsulfon
Handelsnamen: Novalgin®, Novasul® (Veterinärmedizin)
Englisch: metamizole dipyrone
Definition
Metamizol ist ein zu den Pyrazolonen zählendes Analgetikum und Antipyretikum. Es gilt als das stärkste nicht-opioide Schmerzmittel.
Chemie
Metamizol hat die Summenformel C13H16N3NaO4S und eine molare Masse von 311,36 g/mol.
Wirkmechanismus
Der Wirkmechanismus von Metamizol ist aktuell (2019) nicht vollständig aufgeklärt. Als gesichert angesehen werden eine Hemmung der Cyclooxygenasen (COX) im zentralen Nervensystem und in der Peripherie und damit eine verminderte Synthese von Prostaglandinen. Nicht geklärt ist jedoch, inwieweit die aktiven Metaboliten die einzelnen COX-Isoformen COX-1 und COX-2 kompetitiv oder allosterisch hemmen.
Daneben werden zentrale Effekte an Neuronen des Thalamus und Hypothalamus postuliert. Dadurch sollen Effekte auf die Schmerzverarbeitung und Thermoregulation vermittelt werden.
Als einziges Nichtopioid-Analgetikum wirkt Metamizol spasmolytisch, vermutlich durch Agonismus an Cannabinoid-Rezeptoren (z.B. am CB1-Rezeptor) und reduzierter intrazellulärer Kalziumfreisetzung durch Hemmung der Phospholipase C in glatten Muskelzellen.
Eine Studie der Universität Münster aus dem Jahr 2008 ergab, dass Metamizol unter anderem am NMDA-Rezeptor ansetzt, an dem auch Opiate einen Teil ihrer Wirkung entfalten. Daraus ergibt sich ein positiver Effekt auf die Wirkungssteigerung der Kombination von Metamizol mit Morphin. Die Resistenzentwicklung und der damit erhöhte Morphin-Bedarf könnte ggf. in der Langzeittherapie reduziert werden.
Eine weitere Studie aus dem Jahr 2015 weist Metamizol eine hemmende Wirkung auf TRPA1-Kanalproteine zu, die über eine Beteiligung am Kalziumeinstrom in Zellen des nozizeptiven Systems bei der Schmerzweiterleitung mitwirken.[1]
Pharmakokinetik
Metamizol ist ein Prodrug, das in der Leber zum pharmakologisch wirksamen Hauptmetaboliten MAA hydrolysiert wird. Der Wirkungseintritt nach oraler Gabe setzt innerhalb einer Stunde ein und hält für etwa 6 Stunden an. Die Bioverfügbarkeit von Methylaminoantipyrin liegt nach oraler Gabe bei etwa 90 %. Die Plasmahalbwertzeit kann 1,8 bis 4,6 Stunden betragen. Die Ausscheidung erfolgt in erster Linie renal - bei akutem Nierenversagen oder schwerer Niereninsuffizienz ist deshalb eine Dosisanpassung notwendig.
Indikationen
Metamizol wirkt analgetisch, antipyretisch und spasmolytisch. Einsatzgebiete sind daher unter anderem:
- Koliken
- hohes Fieber, das mit Paracetamol und NSAR nicht gesenkt werden kann
- stärkere Schmerzen (z.B. nach Operationen und Traumata, Tumorschmerz)
Auf Intensivstationen und im Rettungsdienst wird Metamizol häufig als Standard-Schmerzmedikation eingesetzt. Metamizol ist für Kinder ab dem 3. Lebensmonat zugelassen.
Anwendungsformen
Metamizol kann peroral in Form von Tabletten und Tropfen oder als Lösung intravenös, intramuskulär oder in Form von Suppositorien rektal verabreicht werden.
Dosierung
Die Einzeldosierung für Erwachsene liegt gewichtsadaptiert bei 500-1.000 mg bzw. 20-40 Tropfen. Die Tageshöchstdosis liegt aktuell (2019) bei 4 g/d peroral und 5 g/d i.v..
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Metamizol kann wie alle Pyrazolone selten einen toxischen Effekt auf das Knochenmark ausüben. Daraus kann eine Leukopenie oder Agranulozytose resultieren.
Agranulozytose
Metamizol ist ein Hapten. Der Wirkstoff bindet an Plasmaproteine der neutrophilen Granulozyten und modifiziert sie zu Vollantigenen. Das Immunsystem bildet daraufhin Antikörper, die zur Ausbildung von Immunkomplexen führen.[2] Durch Adsorption der Immunkomplexe an Granulozyten kommt es zur Komplementaktivierung, die eine Apoptose bzw. Zelllyse der Granulozyten induziert. Daraus resultiert eine Agranulozytose. Bei Zeichen einer Agranulozytose oder beginnender Leukopenie sollte Metamizol daher sofort abgesetzt werden.
Weitere Nebenwirkungen
Selten kann es, vor allem unter zügiger intravenöser Gabe, zu bedrohlichen Abfällen des Blutdruckes bis hin zum Schock kommen. Eine intravenöse Gabe sollte deswegen immer in Form einer Kurzinfusion (> 100 ml) beim liegenden Patienten erfolgen. Sehr selten kann es zu Hautreaktionen im Sinne eines Arzneimittelexanthems, Stevens-Johnson-Syndroms oder Lyell-Syndroms kommen. Bei vorliegender Hypovolämie ist eine Nephrotoxizität zu befürchten.
Weitaus weniger beachtet ist das Risiko der Lebertoxizität. Dabei können Patienten typischerweise mit dem Bild einer cholestatischen Störung auffallen, die häufig bei medikamentös-toxischen Schäden zu sehen ist.
Bei Asthmatikern kann Metamizol einen Asthmaanfall auslösen.
Im Gegensatz zu anderen Schmerzmitteln wie z.B. Diclofenac oder Ibuprofen werden gastrointestinale Nebenwirkungen wie das Auftreten eines gastroduodenalen Ulkuskrankheit sehr selten beobachtet.
Aufgrund der Möglichkeit dieser schweren Nebenwirkungen ist Metamizol in vielen Ländern nicht zugelassen. In Deutschland wird Metamizol vor allem bei kolikbedingtem Schmerz eingesetzt. Als gängige Vorsichtsmaßnahmen gelten:
- keine langfristige Metamizolgabe (> 1 Woche)
- Vorsicht bei vorbestehenden Knochenmarksschädigungen
Häufigkeit der Agranulozytose
Die Angaben zum Agranulozytoserisiko von Metamizol schwanken. Dabei werden Zahlen von 1 zu 1,1 Millionen Anwendungswochen[3] bis hin zu 1 auf 1.439 Verordnungen[4] genannt. Der Konsens geht dahin, dass es sich bei der Agranulozytose um eine sehr seltene Nebenwirkung mit einer Häufigkeit von < 1 auf 10.000 Behandlungen handelt.
Wechselwirkungen
Es bestehen Hinweise auf eine moderate Induktion von CYP2B6 und CYP3A4 durch Metamizol. Zudem besteht möglicherweise eine schwache Induktion von CYP2C9 und CYP2C19 sowie eine schwache Hemmung von CYP1A2.[5] Ob aufgrund dieser Interaktionen andere Therapien einer Anpassung bedürfen, ist nicht vollständig geklärt (2022). Bei Nichtansprechen einer Medikation unter Metamizolgabe kann eine Überprüfung der Wechselwirkungen sinnvoll sein.
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff
- eingeschränkte Knochenmarksfunktion oder Blutbildungsstörungen
- Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel
- hepatische Porphyrie
- parenterale Verabreichung bei Hypotonie
- Schwangerschaft
Störfaktor
Metamizol kann Laboruntersuchungen stören, die auf der Trinder-Reaktion basieren (Präanalytik). Die Entnahme von Blutproben sollte vor der Gabe von Metamizol erfolgen.
Zulassung
Metamizol ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz verschreibungspflichtig. Der Wirkstoff ist in Deutschland nur als Monopräparat zugelassen und darf nicht Teil von Kombinationspräparaten sein.
Innerhalb Europas variiert der Zulassungsstatus von Metamizol stark. Aufgrund des Agranulozytoserisikos ist die Anwendung des Schmerzmittels in Schweden, Norwegen, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und Irland verboten, während es in anderen Ländern (z.B. Polen, Türkei) rezeptfrei erhältlich ist.[6]
Pharmakoökonomie
Quellen
- ↑ Nassini et al., 2015
- ↑ Brian R Curtis, 2014
- ↑ Risks of agranulocytosis and aplastic anemia. A first report of their relation to drug use with special reference to analgesics. The International Agranulocytosis and Aplastic Anemia Study. JAMA 1986; 256: 1749–57
- ↑ Hedenmalm K, Spigset O: Agranulocytosis and other blood dyscrasias associated with dipyrone (metamizole). Eur J Clin Pharmacol 2002; 58: 265–74
- ↑ Bachmann et al.: Metamizole is a Moderate Cytochrome P450 Inducer Via the Constitutive Androstane Receptor and a Weak Inhibitor of CYP1A2 Clinical Pharmacology and Therapeutics, 2020
- ↑ https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7312502/
- ↑ Wolf-Dieter Ludwig, Bernd Mühlbauer, Roland Seifert (2023): Arzneiverordnungs-Report 2022, Springer-Verlag GmbH, Berlin