Long-QT-Syndrom
Synonyme: LQS, LQT-Syndrom
Englisch: Long QT syndrome
Definition
Das Long-QT-Syndrom ist eine zur Gruppe der Ionenkanalerkrankungen (Kanalopathien) gehörende Herzerkrankung mit pathologisch verlängertem QT-Intervall der Herzstromkurve.
ICD10-Code I49.8
Ätiologie
Ätiologisch werden zwei Formen des Long-QT-Syndrom unterschieden:
- kongenitales (primäres) LQT-Syndrom und
- erworbenes (sekundäres) LQT-Syndrom
Kongenitales LQT
Das kongenitale LQT beruht auf einer mutationsbedingten Ionenkanalfunktionsstörung mit struktureller Veränderung eines Ionenkanals bzw. dessen Ankerproteinen (LQT5, s.u.). Gemäß der jeweiligen Mutation werden verschiedene Typen des Long-QT-Syndroms (LQT1-10) klassifiziert (siehe Tabelle).
Typ | Gen | Genprodukt | Funktion |
---|---|---|---|
I* | KCNQ1 | α-Untereinheit des spannungsabh. Kaliumkanals KvLQT1 | Langsamer (slow) Repolarisationsstrom IKs |
II | HERG/KCNH2 | α-Untereinheit des spannungsabh. Kaliumkanals HERG | Schneller (rapid) Repolarisationsstrom IKr |
III** | SCN5 | Spannungsabhängiger Natriumkanal | Depolarisation |
IV | ANK2 | Ankyrin-2 | Zytoskelettales Protein zur Verankerung von Ionenkanälen in Myozytenmembran |
V | KCNE1 | ß-Untereinheit des spannungsabhängigen Kaliumkanals KvLQT1 | IKs |
VI | KCNE2 | Regulatorische Untereinheit des HERG-Kanals und des KCNB1-Kanals | IKr |
VII*** | KCNJ2 | Kaliumkanal-Untereinheit | IKs |
u.a. |
*In Abhängigkeit vom Erbgang lässt sich das LQTI weiter untergliedern in:
- das Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom mit Innenohrschwerhörigkeit durch strukturellen Defekt der Kaliumkanäle der Stria vascularis und
- das Romano-Ward-Syndrom ohne Innenohrbeteiligung.
**Das LQTIII ist vom Brugada-Syndrom abzugrenzen, das ebenfalls auf eine Mutation des SCN5- Gens zurückgeht.
***Das LQTVII wird auch als Andersen-Tawil-Syndrom bezeichnet.
Erworbenes LQT
Erworbene Formen können medikamenteninduziert sein, z.B. durch Klasse I- und III-Antiarrhythmika, verschiedene Antibiotika, Psychopharmaka oder infolge einer Hypokaliämie auftreten. Weitere Medikamente, die zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen, sind Antihistaminika wie Ebastin, Terfenadin und Astemizol. Auch Arzneistoffe, die bei COVID-19 eingesetzt wurden, wie Chloroquin, Hydroxychloroquin und Azithromycin, können zu einem LQT-Syndrom führen.
Bei einer Hypokaliämie kann die QT-Zeit durch Verschmelzung der T- und U-Wellen nicht bestimmbar sein - man spricht dann von einer Pseudo-QT-Zeit-Verlängerung.
Risikofaktoren
Die oben genannten therapeutischen Klassen führen gerne in Kombination mit diversen Risikofaktoren zu einer Verlängerung der QT-Zeit. Zu den patientenindividuellen Risikofaktoren zählt zum Beispiel das weibliche Geschlecht. Kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen ebenso den Risikofaktor. Hier sind die Herzinsuffizienz, Herzhypertrophie, Diabetes mellitus, AV-Block und Bradykardie. Zu den Risikofaktoren die einer Elektrolytstörung geschuldet sind, zählen die Hypokaliämie, die Hypomagnesiämie und die Hypokalzämie. Besonders bei Kindern muss man darauf achten, dass ein übermäßiger Konsum von Lakritz durch eine Hypokaliämie zu einem LQT-Syndrom führen kann.
Pathophysiologie
Der Pathomechanismus des LQT beruht auf einem Ionenkanal-Funktionsdefekt mit resultierender:
- Depolarisations- (Natriumkanal-Mutationen, LQT) bzw.
- Repolarisationsstörung (Kaliumkanaldefekte).
Im kardiomyozytenspezifischen Aktionspotential resultieren entsprechend eine Verlängerung von:
- Plateauphase oder
- Refraktärphase.
Durch die verzögerte Refraktärität können Nachdepolarisationen innerhalb der vulnerablen Phase zu einer unphysiologischen Erregung benachbarter Zellen (ektope Erregungsbildung) mit der Folge lebensbedrohlicher ventrikulärer Tachykardien führen.
Physiologischer Hintergrund
Das Herz-Aktionspotential zeigt eine steile Aufstrichphase mit Overshoot bei +40mV (Phase 1), dem nach kurzer K+-abhängiger Repolarisation eine Plateauphase (Phase 2) folgt. Diese wird durch den Einstrom von Ca2+-Ionen aus dem Extrazellularraum und verzögerten K+-Ausstrom (IKS) verursacht. Der abschließende Ca2+- Ausstrom und die Öffnung verzögert aktivierter K+-Kanäle (IKS, IKR) repolarisieren die Zelle (Phase 3), die nach kurzer Nachhyperpolarisation das Membranruhepotential (Phase 4) annimmt.
Analog zum neurogenen Aktionspotential unterteilt sich die Refraktärphase (Phase 3) in eine:
- relative Refraktärzeit, innerhalb derer Nachdepolarisationen möglich sind und
- absolute Refraktärzeit.
Klinik
Das klinische Beschwerdebild äußert sich in plötzlich auftretenden, häufig belastungsbedingten Torsades de pointes-Tachykardien mit:
- allgemeinem Unwohlsein
- Palpitationen
- Angina pectoris
- Synkopen
- Schweißausbrüchen.
Komplikation
Nicht behandelte ventrikuläre Tachykardien können in ein Kammerflimmern mit finalem Herzstillstand übergehen.
Diagnostik
Der Erkrankungsnachweis erfolgt EKG-diagnostisch mittels Ruhe- und ggf. Belastungs-EKG. Maßgebliche Kriterien sind erhöhte:
- QT-Zeit und
- frequenzkorrigierte QT-Zeit (QTC) nach Bazett, Hegglin oder Fridericia
- Männer > 450ms
- Frauen > 470ms.
Da es sich bei dem Long QT-Syndrom um eine vererbbare Krankheit handelt, ist bei familiärem LQT die Familienanamnese hinweisgebend. Zudem besteht die Möglichkeit des molekulargenetischen Mutations-Nachweises in Leukozyten-DNA mittels PCR-Amplifikation und Sequenzierung der bekannten Risikogene. Als Probenmaterial dienen 2-5ml EDTA-Blut.
Therapie
Die Therapie des LQS besteht in der Risikominimierung von Nachdepolarisationen durch Senkung der Herzfrequenz mittels:
- Betablocker-Gabe (negative Chronotropie) oder
- Sympathektomie.
Bei therapierefraktären Beschwerden ist die Implantation eines Herzschrittmachers oder AICD indiziert.
Bei medikamentös induziertem LQT ist die Absetzung des jeweiligen Arzneimittels obligat. Hypokaliämisch bedingte LQT sind durch Kalium-Substitution unter fortlaufender Kontrolle des Serum-Kaliumspiegels zu therapieren.